Flutlichter erleuchten die Fabrik. Es ist nach zehn Uhr abends, westlich von Detroit. Auf einem Rasenstück prangt ein Ford-Logo. Die Modelle Bronco und Ranger werden hier im Schichtbetrieb zusammengebaut. Aber nicht heute.
Nikea Brown steht an einer mehrspurigen Strasse und streikt. Das Fliessband, an dem sie normalerweise arbeitet, steht still. Die Frau, etwa Mitte 40, ist seit fast zwei Jahren hier angestellt.
Es sei harte, körperliche Arbeit für wenig Lohn, sagt sie. «Ich verdiene 19 Dollar in der Stunde. Das ist nicht viel. Unsere eigenen Kinder kriegen so viel, wenn sie bei McDonalds arbeiten.»
Auch ihr Lebenspartner arbeite bei Ford, sagt Brown. Zusammen müssten sie eine Familie versorgen. Eine Zeit lang hatte Brown zwei Jobs gleichzeitig. «Ich arbeitete acht oder neun Stunden in der anderen Fabrik, kam hierher und arbeitete weitere mehr als zehn Stunden hier. Ich konnte kaum je schlafen. Wenn ich konnte, ging ich nach draussen und schlief in meinem Auto.»
Nach der Pensionierung wollen wir nicht in einem Supermarkt weiterarbeiten müssen, um zu überleben.
Brown gehört zu den Arbeiterinnen, die nach 2007 eingestellt wurden: Um Kosten zu sparen, führte die Autoindustrie damals eine Art Zweiklassensystem ein. Neue Angestellte leisten zwar die gleiche Arbeit wie dienstältere Kollegen, werden aber zu deutlich schlechteren Bedingungen eingestellt.
Angst vor einem Alter in Armut
Sie rette sich von einer Lohnzahlung zur nächsten, sagt Brown. Zugleich sorgt sie sich um ihre Vorsorge. «Wir brauchen unsere Rente! Das ist eins unserer Hauptanliegen. Nach der Pensionierung wollen wir nicht in einem Supermarkt weiterarbeiten müssen, um zu überleben», betont sie.
Brown ist Teil der sechsstündigen Nachtschicht an diesem Streikposten. Es herrscht eine entspannte Stimmung: Musik, Verpflegung für die Nacht. Und in Metalltonnen brennen wärmende Feuer. Autofahrer hupen, um ihre Unterstützung zu zeigen.
Paul Reed, eine Mütze auf dem Kopf, hat ein Schild der Gewerkschaft, der United Autoworkers, in der Hand. Vor mehr als dreissig Jahren fing der Elektriker hier an. Das war zu einer Zeit, als Autoarbeiter noch zum Mittelstand gehört hatten.
Damals war es schwierig, eine Stelle bei den grossen drei Autoherstellern zu finden. «Man musste Beziehungen haben. Es war aufregend, man hatte das Gefühl: Mit diesem Job kann ich ein Leben aufbauen, eine Familie gründen. Für die, die heute anfangen, ist das vorbei», sagt Reed.
Die Arbeiterinnen und Arbeiter erhalten keinen Teuerungsausgleich – bis heute nicht, trotz der hohen Inflation. «Wir hatten all das aufgegeben, um die Unternehmen zu retten. Aber nach einigen Jahren machten sie wieder Millionen- und Milliardengewinne. Aber nie war die Rede davon, uns etwas zurückzugeben. Bis jetzt.»
Vollgas ins Elektrozeitalter
Es ist fraglich, wie viel die Gewerkschaft der Autoindustrie abringen kann. Denn die drei grossen US-Autokonzerne sind in einem Konkurrenzkampf: mit ausländischen Autoherstellern, die in den USA produzieren. Oder mit Tesla. Deren Produktionskosten sind tiefer, denn ihre Arbeiter haben keine Gewerkschaft. Und die US-Autoindustrie ist auch mitten in einer sehr teuren Umstellung, hin zu Elektroautos.
Das macht den Streikenden Sorge, denn bisherige Arbeitsplätze könnten verloren gehen. Auch Reed ist skeptisch. «Diese Umstellung geht viel zu schnell. Wir haben in den USA schlicht noch keine Infrastruktur für Elektroautos. Diese Umstellung ist voreilig.»