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Ardern tritt zurück Begeisterung bekam einen Namen: Jacindamania

Jacinda Ardern stehen die Tränen in den Augen, als sie am Donnerstag einen der wichtigsten Entscheide ihres Lebens bekannt gibt. Nach fünfeinhalb von Krisen und Katastrophen geprägten Jahren hat sie genug. «Ich weiss, was man für diesen Job braucht, und ich weiss, dass ich nicht mehr genug im Tank habe», so Ardern während einer Pressekonferenz. Auch Politiker seien nur Menschen.

Ihrer fünfjährigen Tochter Neve habe sie vorher nichts gesagt, so Ardern. Denn kleine Kinder seien dafür bekannt, «dass sie gerne plaudern». Neve war ein wesentlicher Grund für Ardern, den Schritt aus dem höchsten politischen Amt zu wagen. Sie wolle dabei sein, wenn das Kind seinen ersten Tag im Kindergarten erlebe.

Emotionen zeichneten den Weg der Polizistentochter durch die Politik, als Jungsozialistin und schliesslich als Regierungschefin. Nachdem ihr Vorgänger an der Spitze der Labourpartei wegen miserabler Umfragezahlen zurückgetreten war, trat sie als seine Stellvertreterin an die Spitze. Kurz darauf wurde sie gewählt – und war 2017 mit damals 37 Jahren die jüngste Premierministerin der Welt.

Begeisterung bekam einen Namen: Jacindamania

Es waren mehrere Schicksalsschläge, die den Namen Ardern weit über die Grenzen bekannt machten und ihr zu Hause grösstes Ansehen verschafften, oftmals auch unter politischen Gegnern. Die Medien erfanden für die kollektive Begeisterung ein Wort: Jacindamania.

Die Welt lernte Jacinda Ardern kennen, als sie 2019 die Angehörigen von Opfern eines rassistisch motivierten Terrorattentats auf zwei Moscheen in Christchurch tröstete. Trost zu spenden, wurde auf tragische Weise zu einer Art Markenzeichen der jungen Politikerin. Beim Ausbruch eines Vulkans wenige Monate später starben 22 Menschen. Ardern war dort, umarmte die Überlebenden und tröstete jene, die ihre Liebsten verloren hatten.

Doch Arderns Erfolg im Volk auf eine Reihe publikumswirksamer Tragödien zu reduzieren, wäre falsch. Die Politikerin war eine sehr effektive und effiziente Führungsperson. Beobachter rund um den Globus bewunderten die Chuzpe, mit der sie eine praktisch komplette Abdichtung der Grenzen durchsetzte, um den Ausbruch von Covid-19 zu verhindern.

Wohnungen sind immer noch zu teuer

Es dürfte in den kommenden Tagen darüber spekuliert werden, ob Ardern wegen schlechter Umfragezahlen der Labourpartei vor den Wahlen im Oktober die Notbremse gezogen habe. Tatsächlich ist das Ansehen Arderns und ihrer Partei deutlich gesunken. Eine massive Erhöhung der Lebenshaltungskosten – nicht zuletzt als Folge von Covid und dem Ukrainekrieg – haben das Leben vieler Menschen im Antipodenstaat verschlechtert.

Kein Problem aber ist so gross und für viele Kiwis so frustrierend wie das, welches Ardern von der konservativen Vorgängerregierung geerbt hatte: Für viele sind die Wohnungsmieten zu teuer geworden. Der Traum vom Eigenheim ist für die meisten schon lange gestorben. Die monumentale Aufgabe der Linderung der Wohnungsnot war ein Problem, für das Jacinda Ardern zu wenig Zeit hatte. 

Ob Terror, Vulkan oder Covid: «Ich hatte nie wirklich das Gefühl, dass wir nur regieren», meinte sie. Und jetzt hat sie keine Kraft mehr. «Wir alle geben, solange wir geben können, und dann ist es vorbei. Und für mich ist es nun an der Zeit.»

Urs Wälterlin

Mitarbeiter Australien/Ozeanien

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Der gebürtige Prattler Urs Wälterlin lebt seit 1992 in der Nähe der australischen Hauptstadt Canberra. Er berichtet für SRF über Australien, Neuseeland und Ozeanien.

Heute Morgen, 19.01.2023, 06:00 Uhr

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