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Asylkompromiss in Europa Ist der neue EU-Asyldeal ein Durchbruch?

«Historisch» sei das Übereinkommen. Die EU-Innenminister haben sich nach sieben Jahren mühsamen Ringens auf eine Verschärfung des gemeinsamen Asylsystems geeinigt. Künftig sollen Personen, die aufgrund ihrer Herkunft keine Aussicht auf einen positiven Asylentscheid haben, in ein Express-Verfahren geschickt werden und nach drei Monaten einen definitiven Entscheid erhalten. EU-Korrespondent Charles Liebherr ordnet ein.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

SRF News: Was halten Sie von diesem Etikett «historisch», wie das Abkommen bezeichnet wird?

Charles Liebherr: Aus Sicht der EU-Staaten ist die Einigung bedeutsam, weil sie dokumentiert, dass man gewillt ist, auf europäischer Ebene das Asylrecht zu verschärfen. Die Einigung bleibt aber äusserst fragil.

Es kann sein, dass Staaten wieder ausscheren und alles infrage stellen.

Und sie ist auch sehr relativ: Ein solcher Migrationspakt muss eine Mehrheit im Europäischen Parlament finden. Und die Positionen des EU-Parlaments sind in wichtigen Punkten diametral entgegengesetzt. Es sind also noch viele schmerzliche Kompromisse nötig auf beiden Seiten. Und das Ergebnis kann auch sein, dass dann die EU-Staaten, die sich gestern eben zähneknirschend hinter den Deal gestellt haben, nach den Verhandlungen mit dem EU-Parlament wieder ausscheren und alles infrage stellen.

Können Sie ein Beispiel machen?

Bei den deutschen Grünen zeigen sich diese Widersprüche besonders gut. In Deutschland stehen die Grünen ja in der Regierungsverantwortung. Die deutschen Grünen im Europäischen Parlament fühlen sich aber viel weniger dieser Regierungskoalition verpflichtet. Auch Teile der deutschen Sozialdemokraten.

An der Ausgangslage hat sich eigentlich nichts Grundlegendes verändert.

Und diese unterschiedlichen Positionen gibt es auch in anderen Parteien und EU-Ländern. Und wegen dieser unterschiedlichen Positionen nationaler Parteien und europäischer Parteienbündnisse war bisher eben genau diese europäische Asyl- und Migrationspolitik so blockiert. An dieser Ausgangslage hat sich eigentlich nichts Grundlegendes verändert.

Die einen jubeln über die Verschärfung, die anderen kritisieren, dass auch Familien in haftähnliche Zentren kommen können, bis der definitive Entscheid kommt. Könnte der Kompromiss in der Praxis aufgeweicht werden?

Es wird nur einen Migrationspakt geben, wenn die gemässigten Hardliner eine Mehrheit haben im Rat der EU-Staaten und auch im EU-Parlament. Das sind die Mitte-rechts-Regierungen Niederlande, Schweden, wohl auch Finnland, Italien, Griechenland.

Das Problem sind eigentlich nicht die Sorgenkinder Polen und Ungarn.

Das Problem sind eigentlich nicht die Sorgenkinder Polen und Ungarn, die immer Nein sagen. Die Wahlen im Sommer in Spanien könnten entscheidend sein, wenn da dann die Rechte an die Macht zurückkommt. Das könnte dann auch im Europaparlament das gemässigte Lager in der Migrationspolitik entscheidend schwächen.

Die Erstankunftsländer im Süden verlangen Unterstützung oder einen finanziellen Ausgleich von den anderen EU-Ländern. Zuletzt war die Rede von 20'000 Euro pro Asylbewerber. Wie realistisch ist das?

Das ist schon realistisch, weil es eben nicht wirklich verpflichtend ist. So wie der Verteilschlüssel ist auch diese Möglichkeit sehr vage formuliert. Die Höhe der Entschädigungen ist umstritten und dürfte in den Verhandlungen mit dem EU-Parlament auch angepasst werden. Das Parlament will da den Preis sicher nach oben drücken, um eben Länder wie Polen oder Ungarn unter Druck zu setzen. Wir wissen erst am Schluss der weiteren Verhandlungen, ob das Kompromisspaket ausgewogen bleibt und auch die nötigen Mehrheiten findet bei den Mitgliedstaaten und im EU-Parlament.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Schweiz durch Dublin-System teilweise betroffen

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Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat nach dem Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg die Einigung der EU-Staaten auf den Migrations- und Asylpakt ebenfalls als einen «historischen Schritt» bezeichnet. Eine Einigung sei dringend notwendig gewesen, sagte sie. Denn das Dublin-System hätte laut Baume-Schneider der aktuellen Situation nicht mehr lange standgehalten.

Die Schweiz beteiligt sich via Dublin-Abkommen teilweise an der EU-Migrations- und Asylpolitik. Das Dublin-System gibt vor, dass derjenige Staat, in dem Asylsuchende zuerst ankommen, sich auch um diese kümmern muss. Für die Mittelmeerstaaten wie Griechenland, Italien, Spanien, Malta und Zypern wurde dies angesichts der hohen Flüchtlings- und Migrantenzahlen zu einer grossen Belastung.

Dank des Kompromisses sei nun das Dublin-System gestärkt worden, sagte die Bundesrätin vor Medienschaffenden am Donnerstag. Auch die Schweiz werde sich entsprechend beteiligen. Sie habe sich in der Vergangenheit auch am Solidaritätsmechanismus beteiligt, der für sie nicht verpflichtend sei, so Baume-Schneider weiter.

Rendez-vous, 09.06.2023, 12:30 Uhr ; 

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