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Auch wegen weniger Geburten Chinas Bevölkerung schrumpft erstmals seit 1961

  • Die Bevölkerung Chinas ist letztes Jahr geschrumpft – zum ersten Mal seit über 60 Jahren.
  • Wie das nationale Statistikbüro mitteilte, wurden Ende 2022 mit 1.411 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohner rund 850'000 Menschen weniger registriert als ein Jahr zuvor.
  • Die Geburtenrate war in China so tief wie noch nie, mit knapp 6.8 Geburten pro 1000 Menschen.

Die stetig abnehmende Geburtenrate war vor zwei Jahren erstmals in den einstelligen Bereich gefallen. Mit 9.56 Millionen Geburten und 10.41 Millionen Sterbefällen sei die Bevölkerung im vergangenen Jahr erstmals rückläufig gewesen, berichtete das Statistikamt in Peking. Zuletzt war die Bevölkerung nach diesen Angaben 1960 und 1961 geschrumpft – als Folge der schweren Hungersnöte nach der verheerenden Industrialisierungskampagne des «Grossen Sprungs nach vorn».

Zudem ist jeder fünfte Chinese heute bereits älter als 60 Jahre. Zugleich geht die Bevölkerungsgruppe im statistisch betrachtet arbeitsfähigen Alter zwischen 15 und 59 Jahren weiter zurück.

Eine Mutter mit ihrem Kind in Hongkong
Legende: Mit knapp 6.8 Geburten pro 1000 Menschen ist die Geburtenrate in China so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. IMAGO/Daniel Ceng Shou-Yi

Das markiert auch eine Zeitenwende für die Wirtschaft: «Chinas demografische und wirtschaftliche Aussichten sind viel düsterer als erwartet», bewertete der Demograf Yi Fuxian die neuen Daten. «China wird seine Sozial-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und Aussenpolitik anpassen müssen.» Damit dürfte Indien noch in diesem Jahr das bevölkerungsreichste Land der Erde werden.

Nationales Statistikbüro beschwichtigt

Der Leiter des Nationalen Statistikbüros, Kang Yi, sagte vor Journalisten, die Bevölkerung solle sich keine Sorgen machen. Insgesamt übersteige das Angebot an Arbeitskräften weiter die Nachfrage. Yi Fuxian erklärte seinerseits, die abnehmende Zahl von Erwerbsfähigen und der damit einhergehende Rückgang der Industrie-Kapazität werde in den USA und Europa die hohen Preise und die Inflation weiter verschärfen. Experten zufolge führt die Entwicklung zu einem langsameren Wirtschaftswachstum, während die Staatseinnahmen sinken und die Verschuldung wegen höherer Gesundheits- und Sozialkosten steigt.

Auswirkungen der «Ein-Kind-Politik» werden spürbar

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China leidet schon länger unter einem starken Geburtenrückgang und einer Überalterung der Bevölkerung. Die Auswirkungen der über Jahrzehnte verfolgten «Ein-Kind-Politik» werden immer spürbarer. Die Aufhebung der umstrittenen Geburtenkontrolle führte 2016 nur kurzzeitig zu einem leichten Anstieg der Geburten.

Experten sehen zudem die hohen Kosten für Wohnraum, Bildung und Gesundheitsversorgung in China sowie die schwindende Bereitschaft zur Heirat als eigentliche Gründe für die beunruhigende Entwicklung. Die seit drei Jahren andauernde Corona-Pandemie sorgte für weitere Unsicherheiten, die den Trend noch beschleunigt haben dürften.

Als Reaktion auf den Geburtenrückgang und die rapide Überalterung wurden 2021 auch drei Kinder erlaubt. Ausserdem bemüht sich die Regierung seither, es jungen Paaren leichter zu machen, für Kinder zu sorgen. So wurden die Kosten für Bildung gesenkt. Finanzhilfen wurden gewährt, Mutterschafts- und Elternurlaub erleichtert, da viele Frauen befürchten, dass sich eine Mutterschaft negativ auf ihre berufliche Karriere auswirkt.

Einen Hinweis auf die weitere Entwicklung gibt der Rückgang bei den Frauen im gebärfähigen Alter, das in China von 25 bis 35 Jahre definiert ist: die Zahl fiel um etwa vier Millionen. Die Vereinten Nationen gehen inzwischen von einem Schrumpfen der Bevölkerung um 109 Millionen bis 2050 aus. Das ist mehr als dreimal so viel, wie noch 2019 vorhergesagt.

Gleichstellungsdefizit als weiterer Grund

Experten machen allerdings auch Probleme in der Gesellschaft, insbesondere Defizite bei der Gleichstellung von Mann und Frau, als Grund aus. Nach Angaben des World Economic Forum liegt China in diesem Aspekt auf Platz 102 von 146 Ländern. «Der Hauptgrund, warum Frauen keine Kinder haben wollen, liegt nicht bei ihnen selbst», hiess es in einer von vielen Reaktionen in den chinesischen sozialen Medien nach der Veröffentlichung der neuen Daten. «Sondern im Versagen der Gesellschaft und der Männer, die keine Verantwortung für die Kindererziehung übernehmen wollen.»

In anderen Staaten der Region ist die Entwicklung ähnlich: Japan, Südkorea und Taiwan sehen sich alle mit rückläufigen Bevölkerungen konfrontiert, weil sowohl die Geburtenraten als auch die Einwanderungszahlen niedrig sind.

Einschätzung von SRF-Ostasien-Korrespondent Samuel Emch

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Die Geburtenrate in China war im vergangenen Jahr so tief wie noch nie seit der Erfassung der Daten. Da gleichzeitig die Sterberate gestiegen ist, hat die Bevölkerung abgenommen.

Dass das bevölkerungsreichste Land der Welt bald einen Wendepunkt erreichen und bevölkerungsmässig schrumpfen wird, wurde von vielen Expertinnen und Experten bereits prognostiziert. Da dieser Wendepunkt absehbar war, hat die Regierung bereits Gegensteuer gegeben. Das bekannteste Beispiel ist sicher die Abkehr der «Ein-Kind-Politik».

Die heutigen Zahlen zeigen aber, dass die gewünschte Wirkung daraus ausgeblieben ist. Deshalb ist die chinesische Bevölkerung im letzten Jahr um rund 850’000 Menschen kleiner geworden.

SRF 4 News, 17.01.2023, 04:00 Uhr ; 

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