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Auf Lesbos blockiert Schwieriger Zutritt nach Europa: 7000 Flüchtlinge sitzen fest

Nur sieben Seemeilen trennen die griechische Insel Lesbos von der Türkei. So bleibt sie das naheliegende Ziel für Flüchtlinge aus Syrien und Mittelasien. Mittlerweile sitzen hier 7000 Flüchtlinge fest.

Sie kamen voller Hoffnung nach Europa. «Wir wussten, wenn wir in Syrien bleiben, sterben wir irgendwann», sagt Abd Al Jabar. Von der türkischen Küste schaffte es der Syrer im Boot die sieben Seemeilen übers Meer auf die griechische Insel Lesbos. Doch hier werden seine Hoffnungen enttäuscht. Die Unterkünfte auf der Insel sind überfüllt, die Bedingungen prekär. «Wir haben uns nun selber ein Zelt gebaut und eine Heizung gekauft. Aber es fehlt an allem.» Al Jabar hatte sich Europa anders vorgestellt.

Familie vor Zelt.
Legende: Hat seiner Familie selber ein Zelt gebaut: der sechsfache Vater Abd Al Jabar aus Syrien SRF

7000 Flüchtlinge – darunter 40 Prozent Kinder – warten auf der griechischen Insel monatelang auf die Bearbeitung der Asylanträge. Seit über zwei Jahren ist das Registrierungszentrum und Auffanglager in Moria überfüllt. «Dieser Ort ist für 1700 Leute gemacht, aber im Sommer waren über 6000 Leute im Lager», sagt Astrid Castelein, Leiterin des UNHCR auf Lesbos. Die hygienischen Zustände sind katastrophal, es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Flüchtlingsgruppen. Die Verantwortung für das Lager trägt seit Juli 2017 die griechische Regierung, welche das Camp führt. Das UNHCR ist nur noch mit elf Mitarbeitern präsent.

Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung

Trotz der angespannten Situation bleibt die Politik hart. Seit dem Abkommen zwischen der Türkei und der EU ist klar: Die Asylprozesse sollen auf den Inseln abgeschlossen werden. Wer einen negativen Entscheid erhält, wird direkt von der Insel zurück in die Türkei gebracht. Nur Flüchtlinge mit einem positiven Entscheid sollen weiter reisen dürfen. Vor Ort verantwortlich für die Umsetzung dieser europäischen Migrationspolitik ist die griechische Regierung. Doch die Bearbeitung der Asylanträge und deren Beschwerden dauern oft monatelang. Manche Flüchtlinge verbringen deshalb schon ihren zweiten Winter im Camp.

Sie zünden unsere Olivenbäume an, um sich zu wärmen.
Autor: Dimitris Kukutas Bauer

Für die einheimische Bevölkerung ist die aktuelle Situation eine Belastung. Ein Grossteil der über 85'000 Menschen auf der Insel lebt von der Landwirtschaft und vom Tourismus. Doch dieser ist seit den anhaltenden Negativschlagzeilen seit Sommer 2015 eingebrochen. Dazu kommen die täglichen Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und lokaler Bevölkerung. «Wenn es kalt ist, schneiden sie das Holz unserer Olivenbäume ab oder zünden die Bäume an, um sich zu wärmen», sagt der Bauer Dimitris Kukutas. Viele Landwirte klagen auch über Diebstähle von Schafen oder Hühnern. Die Bauern hoffen nicht mehr, dass die Regierung schnell etwas ändert. «Sie kamen immer wieder, aber die Probleme lösen sie nicht», sagt Kukutas.

Hoffnungslosigkeit und psychische Krankheiten

Zwar flüchteten 2016 mit 90'000 Menschen viel mehr nach Lesbos als im vergangenen Jahr (12'500). Aber selbst jetzt, im Winter, kommen täglich über 100 Flüchtlinge an. Die meisten von ihnen stammen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.

Entsprechend hat sich die Situation im Camp Moria nicht gebessert. Und das sei gewollt, kritisiert Tamim Elnaggar von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF). Die Europäische Union setze auf Abschreckung. «Die Leute sind so lange hier, weil die EU-Politik das so will», sagt er. Die Situation für die Menschen aber werde immer schwieriger, die medizinische Versorgung sei schlecht und viele verlören die Hoffnung. Die Organisation hat deshalb seit wenigen Monaten eine mobile Notfallklinik vor dem Lager in Moria aufgebaut.

Die Teams von MSF behandeln zudem immer häufiger Patienten, welche Selbstmordversuche unternommen haben oder sich selber verletzen. «Die mentale Verfassung der Menschen hier ist gar nicht gut. Viele haben Angststörungen, selbst ganz kleine Kinder», sagt die Kinderärztin Kamilla Josefsdottir. Viele Kinder hätten Gewalt erlebt oder gesehen, wie ihre Eltern bei Bombenanschlägen starben. «Sie machen ins Bett oder hören auf zu reden. Auch viele Eltern leiden. Aber leider haben wir hier wenig Möglichkeiten, um sie zu behandeln.»

Von der Ferieninsel zur Gefängnisinsel

Die Abschreckungspolitik der EU stösst auch bei den lokalen Behörden auf Kritik. «Im Moment ist gewollte Politik, die Bedingungen in Moria nicht zu verbessern», sagt Marios Andriotis, Berater des Bürgermeisters der Insel. Das sei aber keine Lösung. Er fordert, dass man mehr Menschen zum Festland bringen müsse, die Kapazitäten der Insel seien erschöpft. Eine neue Unterkunft eröffnen wollen die lokalen Behörden nicht, sagt Andriotis. «Dann würde es einfach ein neues Lager wie in Moria geben. Wir wollen nicht, dass unsere Insel zu einem Gefängnis wird», sagt er.

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