Von Anfang an war klar, dass das Jugoslawien-Tribunal nur Prozesse gegen Generäle und Präsidenten führt. Die UNO wollte schliesslich kein ewiges Strafgericht in Den Haag finanzieren. Um sicherzustellen, dass die Gerichte im Balkan dereinst übernehmen könnten, wurden seit Jahren junge Juristinnen und Juristen aus Kroatien, Bosnien und Serbien in Den Haag ausgebildet.
«Wir sind das einzige Tribunal, das Verbindungsankläger hat», erklärt Chefankläger Serge Brammertz. Ein Teil jener gut 100 Jungankläger sei jetzt als Bindeglied zwischen Den Haag und den Balkan-Gerichten tätig und habe Zugang zu der Datenbank des Haager Anklagebüros, das neun Millionen Dokumente umfasse.
Mangelnder Wille zur Aufarbeitung
«Damit ist aber bereits alles Positive gesagt», so Brammertz, denn das Klima auf dem Balkan sei für die Verfolgung von Kriegsverbrechern alles andere als gut.
Das Haager Tribunal hat 17 Fälle, in die 66 mutmassliche Kriegsverbrecher involviert sind, an die regionalen Gerichte abgegeben. Doch mit dem umfangreichen Beweismaterial, das Den Haag geliefert hat, ist bisher wenig bis nichts passiert – weil es am Willen fehlt.
Kriegsverbrecher als Helden verehrt
Wenn eine Gesellschaft Kriegsverbrecher verherrlicht und das Leugnen von Völkermord zum Alltag gehört, ist es nicht überraschend, wenn Kriegsverbrecherprozesse nicht mit oberster Priorität behandelt werden.
Diese Haltung insbesondere der Politiker sei eine Beleidigung für die Opfer und die Hinterbliebenen, kritisiert der Chefankläger. Er würde es denn auch begrüssen, wenn sich die Internationale Gemeinschaft für Gesetzesänderungen auf dem Balkan stark machen würde, damit das Leugnen von Völkermord bestraft werden könnte wie anderswo die Holocaust-Lügner.
Politische Einflussnahme auf Gerichte
Das Leugnen des Völkermords in Srebrenica hat zur Folge, dass dieser schwere Anklagepunkt in Serbien gar nicht existiert. Demgegenüber akzeptiert das EU-Land Kroatien keine Anklagen, in denen es um eine gemeinschaftliche kriminelle Unternehmung geht – aus Angst, es könnte eine Verbindung zu Zagreb nachgewiesen werden. In beiden Ländern übt die Regierung grossen Einfluss auf die Gerichtshöfe aus.
Hinzu kommt, dass die Gerichte in Belgrad, Zagreb und Sarajevo absolut nicht miteinander kooperieren: Mutmassliche Kriegsverbrecher werden nicht verhaftet und ins jeweilige Nachbarland ausgeliefert, weil es keine entsprechenden Verträge gibt.
Mission noch nicht zu Ende
Es sei eine lächerliche Situation, wenn man bedenke, dass alle diese Länder einmal die gleiche Verfassung gehabt hätten, sagt Brammertz. Er bleibt in Den Haag und wird ab Januar Chefankläger bei der Nachfolge-Organisation des Tribunals, bei MICT.
Er wird sich also weiterhin mit Vehemenz in Zagreb, Belgrad und Sarajevo einsetzen wird damit die juristische Aufarbeitung der Balkan-Kriege doch noch Formen annimmt.