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Aufbegehren in Belarus Nauer: «Lukaschenko will die Opposition spalten»

Seit Wochen wird in Belarus gegen den Präsidenten Alexander Lukaschenko demonstriert. Beobachter in der Hauptstadt Minsk sprechen jetzt von den heftigsten Zusammenstössen zwischen der Polizei und den Demonstrierenden seit Wochen, und das, obwohl der Präsident wohl ein Signal zur Entspannung der Lage setzen wollte.

SRF News: Überrascht Sie die Härte der Polizei?

David Nauer: Nein. Die belarussische Polizei geht seit Wochen äusserst brutal gegen Demonstrierende vor. Auch gestern Sonntag wieder sind schwarz gekleidete, vermummte Männer mit Schlagstöcken auf Bürger losgegangen und haben Blendgranaten in Menschenmengen geschossen. Es kam zu vielen Festnahmen. 500 Menschen seien in Haft, hiess es gestern Abend.

Lukaschenko liess diese Leute ins Gefängnis werfen, dann fährt er hin und redet mit ihnen.

Am Samstag hat sich Lukaschenko mit mehreren inhaftierten Oppositionellen getroffen. Ist das ein Anzeichen für Dialogbereitschaft?

Das hätte man am Samstag so interpretieren können, aber nach der Gewalt vom Sonntag nicht mehr. Dieses Treffen hat im Gefängnis des Geheimdienstes – er heisst übrigens immer noch KGB wie zu Sowjetzeiten – stattgefunden. Lukaschenko liess diese Leute ins Gefängnis werfen, dann fährt er hin und redet mit ihnen. Der Staatschef gibt damit eigentlich zu, dass diese Leute politische Gefangene sind.

Ein verletzter Demonstrant wird notdürftig verarztet.
Legende: Ein verletzter Demonstrant wird notdürftig verarztet. Keystone

Lukaschenko hat bislang jeden Dialog mit der Opposition abgelehnt. Warum hat er sich am Samstag doch mit ihnen getroffen?

Da gibt es verschiedene Theorien. Eine besagt, er wolle vielleicht gegenüber dem Westen demonstrieren, dass er doch nicht ein so schlimmer Diktator sei. Für Lukaschenko ist es ein Problem, dass die europäischen Staaten ihn nicht mehr als legitimen Präsidenten anerkennen. Ich denke aber nicht, dass in den westlichen Hauptstädten jemand auf diesen Trick reinfällt.

EU-Sanktionen gegen Machtapparat in Belarus

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Die EU ist bereit, weitere restriktive Massnahmen zu ergreifen, wenn sich die Lage in Belarus nicht verbessert: So heisst es in einer beim Aussenministertreffen in Luxemburg verabschiedeten Erklärung. Von den Sanktionen betroffen sein sollen dann auch Präsident Lukaschenko persönlich und ranghohe Beamte.

Bundesaussenminister Heiko Maas hatte sich schon zuvor dafür ausgesprochen, auch gegen Lukaschenko EU-Sanktionen zu verhängen. «Die Gewalt geht weiter. (...) Es gibt nach wie vor Verhaftungen von friedliebenden Demonstranten», sagte der SPD-Politiker in Luxemburg.

Bisher wurden 40 Personen wegen Wahlfälschungen oder der gewaltsamen Niederschlagung von friedlichen Protesten sanktioniert. Lukaschenko gehörte bis anhin nicht dazu. Dies wurde damit begründet, dass restriktive Massnahmen gegen den belarussischen Präsidenten die diplomatischen Bemühungen zur Beilegung des Konflikts erschweren könnten und der EU die Möglichkeit nähmen, ihren Kurs noch einmal zu verschärfen.

Eine andere These besagt, Lukaschenko versuche, die Opposition zu spalten und Teile davon auf seine Seite zu ziehen. Gewisse Leute sollen in Gespräche über eine neue Verfassung eingebunden werden, wenn auch unter den Bedingungen des Regimes. Und die Radikalen sollen auf den Strassen niedergeknüppelt werden.

Polizeikräfte gegen in Minsk geben Demonstrierende vor.
Legende: Polizeikräfte gehen in Minsk gegen Demonstrierende vor. Keystone

Der prominenteste Teilnehmer des Treffens war Bankmanager und Politiker Wiktor Babariko. Er wollte bei der Präsidentschaftswahl als Kandidat antreten, landete jedoch im Gefängnis. Warum traf sich Lukaschenko mit ihm?

Die Teilnehmerliste des Treffens bleibt ein Rätsel. Babariko konnte nicht wählen, ob er daran teilnimmt. Er sitzt seit Monaten in Haft. In diesen Gefängnissen werden die Gefangenen massivem psychischem Druck ausgesetzt. Es wird zum Teil sogar gefoltert. Man muss annehmen, dass Lukaschenko Babariko dabeihaben wollte, weil er gute Beziehungen nach Russland hat.

Eine Figur wie Babariko, die russlandfreundlich ist und auch ein gewisses Format hat, könnte langfristig eine Alternative sein.

Er hat lange für eine russische Staatsbank gearbeitet, und es gibt sogar die Vermutung, dass die Idee, Barbariko an Bord zu holen, aus dem Kreml stammt. Russland unterstützt zwar Lukaschenko. Aber die Russen sehen auch, dass der sein Volk verloren hat. Eine Figur wie Babariko, die russlandfreundlich ist und auch ein gewisses Format hat, könnte langfristig eine Alternative sein. Aber das ist nur eine Vermutung.

Gibt es denn gar keine Zeichen für eine Entspannung der Situation?

Nein, die sehe ich nicht. Lukaschenko will die Macht nicht abgeben. Er glaubt, das Land gehöre ihm. Die Menschen im Land wissen, dass das nicht stimmt und weichen nicht zurück. Sie riskieren ihre Freiheit und Gesundheit jeden Sonntag. Das ist mutig, schon fast heroisch. Im Moment scheint dies eine Art brutales Ritual, ohne dass sich eine Lösung abzeichnet.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

SRF 4 News, 12.10.2020; 06:15 Uhr ; 

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