Kängurus vermehren sich in gewissen Teilen Australiens zu stark, zum Beispiel in der Hauptstadt Canberra. Sie werden für die Menschen zu einer Plage. Nun sollen mindestens 4’000 Kängurus getötet werden, eine der grössten Abschussaktionen der jüngeren Geschichte Australiens. Für Urs Wälterlin, SRF-Korrespondent, machen diese Massnahmen aber durchaus Sinn.
SRF News: Was bringt Australien dazu, die tierische Ikone des Landes umzubringen?
Urs Wälterlin: Das ist vielleicht etwas hart ausgedrückt, aber die Tiere haben sich in Canberra in den letzten Jahren extrem vermehrt. Wir reden hier vom östlichen Graukänguru, eines der am meist verbreitetsten Kängurus. Die Stadt zieht sie an; es ist überall Grün, hat Wiesen, Naturschutzgebiete, Parks oder Golfplätze.
Kann man von einer Plage sprechen?
Ja, sie fressen alles weg und gefährden dadurch auch das Überleben anderer Tierarten, die von der natürlichen einheimischen Vegetation leben. Mittlerweile besteht sogar die Gefahr des Aussterbens einheimischer Gräser.
Die betroffenen Tiere sind nicht vom Aussterben bedroht.
Dazu kommt, dass die Kängurus Verkehrsunfälle verursachen können. Canberra ist wahrscheinlich die einzige Stadt der Welt, wo man direkt vor dem Parlamentsgebäude Gefahr laufen kann, mit einem bis zu zwei Meter grossen Tier zu kollidieren.
Die Kängurus sollen in bewohntem Gebiet abgeschossen werden. Wie muss man sich das vorstellen?
Kängurus weiden in der Regel am frühen Morgen, in der Dämmerung und in der Nacht. Scharfschützen mit Scheinwerfern leuchten das Gelände ab und töten die Kängurus aus einer Distanz von bis zu 200 Metern mit einem direkten Schuss ins Gehirn. Danach werden die Tiere vergraben.
Tierschutzorganisationen kritisieren diese Abschussaktion. Ist das Wegwerfen der Tiere auch ein Grund dafür?
Bei gewissen Leuten auf jeden Fall. Aber in erster Linie geht es um die Art und Weise, wie diese Keulung vor sich geht. Man muss zwar sagen, dass die Tiere sehr schnell sterben und die Schützen gut ausgebildet sind. Die Kängurus dürfen nur durch einen Hirnschuss getötet werden. Das zweite Argument der Tierschützer, dass die Tiere vom Aussterben bedroht seien, stimmt nicht.
Tierschützer erklären zudem, dass man die Weibchen auch sterilisieren könne. Das sei weniger brutal. Tatsächlich gab es bereits Versuche hierzu, welche auch funktionierten. Das Ganze ist aber sehr aufwändig und kostet mehr.
Gibt es in der Bevölkerung auch eine Art Erleichterung bezüglich der Keulung?
Auf jeden Fall, teilweise wird es wirklich gefährlich. Ich habe einen Sohn, der in Canberra studiert. Wenn man aus seinem Apartment schaut, sieht man am Abend Hunderte Kängurus direkt neben einem Parkplatz. Sie verlieren die Scheu vor dem Menschen, weil sie wissen, dass ihnen nichts geschieht.
Es herrscht auch unter den Touristen ein gewisses Verständnis.
Leute aus dem Ausland sind den Umgang mit den Tieren häufig nicht gewohnt. Es kommt immer wieder vor, dass ihnen plötzlich ein Känguru vor das Auto rennt. Denn Kängurus haben die unangenehme Verhaltensweise, dass sie häufig am Strassenrand stehen und die Autos anschauen. Als Fahrer denkt man, dass die Tiere einen gesehen haben. Im letzten Moment springen sie jedoch trotzdem auf die Strasse und werden angefahren oder überfahren.
Befürchtet man durch den Abschuss nicht auch einen gewissen Imageschaden für Australien?
Es herrscht auch unter den Touristen ein gewisses Verständnis, übrigens gerade unter Schweizern.
Vielleicht nicht zuletzt auch, weil auch in der Schweiz Wildtiere teilweise abgeschossen werden müssen. Zudem essen viele Schweizer gerne Kängurufleisch.
Das Gespräch führte Eliane Leiser.