Giovanni Agnelli leitete den Fiat-Konzern während Jahrzehnten, in Italien ist er ein Mythos. Agnelli sagte einmal: «Mir ist es egal, wie viele Exemplare meine Zeitung, also ‹La Stampa›, verkauft. Hauptsache, sie liegt jeden Morgen auf dem Tisch des Regierungschefs.»
Diese Zeiten sind definitiv vorbei. Heute sind der Fiat-Familie sinkende Abo-Zahlen und das hohe Defizit nicht mehr egal.
Zwei linksliberale Zeitungen
Und so trennt sich die Turiner Dynastie nach fast genau 100 Jahren von ihrer Traditionszeitung «La Stampa» und auch von der erst später erworbenen «La Repubblica». Damit stehen zwei der drei bedeutendsten und relevantesten Zeitungen Italiens vor einer sehr ungewissen Zukunft.
Italien ist, von links bis rechts, beunruhigt. Wobei die Sorgen im linken Spektrum grösser sind als im rechten, weil «La Stampa» und «La Repubblica» zumindest bisher klar linksliberale Tageszeitungen waren.
Im Parlament griff der linksgrüne Abgeordnete Marco Grimaldi darum John Elkann, der den Fiat-Stellantis-Konzern heute leitet, frontal an: «Elkann und der Fiat-Stellantis-Konzern wollen sich ganz aus Italien zurückziehen.»
Beide Zeitungen sind defizitär
Tatsache ist: Der Konzern steckt, wie andere Autohersteller in Europa oder den USA, in einer tiefen Krise. Arbeitsplätze verschwinden. Den Firmensitz hat die Gründerfamilie schon vor Jahren von Turin nach Amsterdam verlegt. Und auch die beiden Zeitungen «La Repubblica» und «La Stampa» sind ein Verlustgeschäft – darum nun der Ausverkauf.
Derzeit verhandelt die Fiat-Familie vorrangig mit dem schwerreichen griechischen Reeder Theodoros Kyriakou. Der besitzt in Griechenland, aber auch in Serbien oder Rumänien, bereits diverse Medien. Pikant dabei: Ins Firmenimperium der Familie Kyriakou ist auch der saudische Herrscher bin Salman als Geldgeber involviert.
Wobei Saudi-Arabien und der Name bin Salman nicht gerade für Medienfreiheit und Vielfalt stehen. Ganz im Gegenteil.
Es droht ein medialer Einheitsbrei
Darum schrillen die Alarmglocken: «Für die Zukunft der beiden Zeitungen gibt es keinerlei Sicherheiten. Weder für die Hunderten von Angestellten in Turin und Rom noch für die Qualität der Zeitung oder deren politische Ausrichtung», klagt der Turiner Oppositionspolitiker Grimaldi.
Allerdings könnte es auch sein, dass sich die neuen Besitzer nicht gross für die politische Ausrichtung, sondern vor allem fürs Geschäft interessieren. Zudem sind die Verhandlungen zwischen der Gründerfamilie von Fiat und Kyriakou noch am Laufen und in Italien hoffen viele, dass sie scheitern und sich vielleicht doch noch ein italienischer Investor findet.
Rechtsrutsch bei der Rai
Klar ist nur: Beide Zeitungen werden sparen müssen. Und: Seit die rechtskonservative Regierung Meloni im Amt ist, hat sie, wie übrigens jede andere Regierung vor ihr, viel Einfluss auf das staatliche Fernsehen und Radio der Rai ausgeübt. Sie hat das Steuer Richtung rechts herumgeworfen.
Würden nun die beiden Zeitungen «La Repubblica» und «La Stampa» ebenfalls nach rechts umschwenken, so würden zwei regierungskritische Stimmen verstummen. In Italien fürchten viele um die mediale Vielfalt und Freiheit. Tatsächlich steht mit dem Verkauf der beiden Zeitungen viel auf dem Spiel.