In Berlin findet zurzeit eine Balkankonferenz statt. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron empfangen die Staats- und Regierungschefs der sechs Westbalkan-Länder sowie der EU-Mitglieder Kroatien und Slowenien. Was das bringen soll, erklärt Balkan-Experte Florian Bieber.
SRF News: Worum geht es bei der Balkankonferenz, die Frankreich und Deutschland einberufen haben?
Florian Bieber: Es ist nicht ganz klar, was sie erreichen wollen. Ich nehme an, es geht in erster Linie darum, der Idee einer Grenzänderung zwischen Serbien und Kosovo einen Riegel vorzuschieben und die europäische Initiative für diesen Verhandlungsprozess wieder aufzunehmen.
Ist die Vermittlung der EU-Kommission gescheitert, wenn nun Emmanuel Macron in Eigenregie eine Konferenz einberuft?
Ja, und das hat zwei Gründe. Erstens hat die Europäische Kommission beziehungsweise Federica Mogherini es nicht geschafft, die Gespräche voranzutreiben. Zweitens hat sie, als ihr die Gespräche aus der Hand glitten, mehr oder weniger die Idee einer Teilung übernommen und akzeptiert.
Im Süden des Kosovos leben viele Serben und deren Status würde durch eine solche Teilung sehr viel prekärer.
Sie haben die Änderung des Grenzverlaufs angesprochen. Ein Gebiet im Norden des Kosovos, das mehrheitlich von Serben bewohnt wird, ginge an Serbien und ein Tal im Süden Serbiens, in dem die albanische Bevölkerung die Mehrheit stellt, käme zum Kosovo. Warum kann das keine Lösung sein?
Zunächst einmal leben die meisten Serben nicht in den Gebieten, die an Serbien gehen würden. Im Süden des Kosovos leben viele Serben und deren Status würde durch eine solche Teilung sehr viel prekärer. Es gibt weiter für einen derartigen Plan keine Unterstützung im Kosovo.
Am meisten Sorgen macht Deutschland – und auch vielen Beobachtern – die Vorstellung, dass diese Lösung eine Art Domino-Effekt auslösen könnte. Denn damit sagt man: Grenzen sollten nach ethnischen Kriterien gezogen werden. Wo eine Gruppe lebt, sollte man leben. Wenn man eine Minderheit ist, ist man am falschen Platz. Diese Botschaft ist gefährlich für die Region.
In den USA regiert im Moment die Idee, dass jeder Deal ein guter Deal ist, solange es ein Deal ist.
Die USA würden für diese Lösung Hand bieten?
Nicht nur die USA, auch einige EU-Mitgliedsstaaten haben gesagt, das sei keine schlechte Idee. Anders ausgedrückt vertreten sie die Meinung: Solange es zu einer Lösung kommt, sind wir für alles zu haben. In den USA regiert im Moment die Idee, dass jeder Deal ein guter Deal ist, solange es ein Deal ist. Das ist eine eher ambivalente und keine konstruktive Sichtweise der Dinge.
Was wäre denn konstruktiv?
Man muss sich neue Ansätze überlegen und auf die Brüsseler Abkommen, die zwischen den beiden Staaten getroffen wurden, zurückgreifen. Sie sehen eine gewisse Art der Selbstverwaltung der serbischen Gemeinden vor.
Aber das Problem ist nicht nur die Beziehung zwischen Serbien und Kosovo. Fünf EU-Mitgliedsstaaten erkennen den Kosovo nicht an. Es geht auch darum, dass der Kosovo in der Lage sein wird, im EU-Beitrittsprozess voranzukommen.
Nordmazedonien schaffte es, den Streit mit Griechenland zu lösen. Könnte an dieser Konferenz ein Datum für EU-Beitrittsgespräche festgelegt werden?
Das wäre ein wichtiges Signal. Bisher gab es keine wirkliche Würdigung dieses Abkommens für Nordmazedonien. Bisher hat Frankreich auf die Bremse gedrückt und das hat nichts mit Nordmazedonien zu tun, sondern rein mit französischer Innenpolitik. Wenn es Deutschland gelingen würde, Frankreich umzustimmen, bedeutete das nicht automatisch die Mitgliedschaft in der EU, sondern es wäre der Beginn eines Prozesses und eine Belohnung. Das wäre schon ein grosser Erfolg.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.