- Bewaffnete Banden kontrollieren laut lokalen Medien rund 80 Prozent der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince.
- Zuvor war das Nationalgefängnis in der Hauptstadt gestürmt worden, wobei ein Grossteil der Häftlinge entkommen konnte.
Nachdem bewaffnete Gruppen das Nationalgefängnis in Port-au-Prince im Karibikstaat Haiti gestürmt und einen Grossteil der rund 3600 Häftlinge befreit haben, kontrollieren sie mittlerweile etwa 80 Prozent der Hauptstadt. Das berichten lokale Medien. Die Regierung hat angesichts der eskalierenden Lage einen 72-stündigen Ausnahmezustand verhängt. Zusätzlich soll eine nächtliche Ausgangssperre den Behörden dabei helfen, die «Situation wieder unter Kontrolle zu bringen».
«Das öffentliche Leben ist so weit lahmgelegt», sagt Esther Belliger, bei der Schweizer Hilfsorganisation Helvetas verantwortlich für Lateinamerika und Haiti, gegenüber SRF News. «Die Situation – und das nicht erst seit gestern – ist absolut eskaliert, und die Gewalt ist unkontrollierbar geworden.»
Die Situation ist absolut eskaliert, und die Gewalt ist unkontrollierbar geworden.
Bandenmitglieder würden Polizeistationen angreifen und versuchen, die Kontrolle über den internationalen Flughafen zu übernehmen, sagte ein Hilfswerksvertreter gegenüber der BBC. Der Flughafen ist kurz nach Beginn der Kämpfe geschlossen worden. Die Bandenchefs hätten den Rücktritt von Premierminister Ariel Henry gefordert. Henrys Aufenthaltsort ist derzeit nicht bekannt.
Die Gewalt konzentriert sich primär auf die Hauptstadt.
Ausserhalb der Hauptstadt, insbesondere im Süden des Landes, wo Helvetas tätig ist, sei es hingegen relativ ruhig, sagt Esther Belliger. «Die Gewalt konzentriert sich primär auf die Hauptstadt.»
Gewalt ist in Haiti nichts Neues, vor zwei Jahren wurde der Präsident ermordet. Zur jüngsten Eskalation geführt hat laut Belliger die Frustration der Öffentlichkeit über das Versäumnis des Premierministers Ariel Henry: «Er hat es verpasst, den Unruhen Einhalt zu gebieten.» Diese hätten deutlich zugenommen in den letzten zwei Jahren. «Henry hat schon längst Wahlen versprochen, diese aber wegen der eskalierenden Gewalt erneut abgesagt.»
Der Alltag der Menschen sei unvorstellbar, sagt Belliger. Wer könne, verlasse das Land – vor allem die gut gebildeten Leute. Es gebe etwa die Möglichkeit, Visa für die USA zu beantragen. «Diejenigen, die da bleiben, leben in ständiger Gefahr», sagt Esther Belliger, sei es auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen. «Die Lage ist äusserst prekär.»
Nachbarstaaten wappnen sich
In der benachbarten Dominikanischen Republik hat Präsident Luis Abinader als Reaktion auf die Eskalation in Haiti die Grenzschutzanlagen inspiziert und erklärt, er werde keine Flüchtlingsunterkünfte für Menschen aus Haiti auf dominikanischem Territorium erlauben. Die brasilianische Regierung rief zur Entsendung einer multinationalen Truppe nach Haiti auf, und die Bahamas teilten mit, dass fast sämtliches Botschaftspersonal zurückgerufen worden sei. Die USA riefen derweil ihre Staatsbürgerinnen und Staatsbürger auf, Haiti schnellstmöglich zu verlassen.