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Jesiden im Irak auf der Flucht vor der Terrormiliz IS (Archivbild)
Legende: Jesiden im Irak auf der Flucht vor der Terrormiliz IS (Archivbild) Reuters

Berichte über IS-Terror Protokolle der Grausamkeit

Entführung, Missbrauch, Folter, Mord: Die Terrormiliz IS schreckt vor keinen Gräueltaten zurück – vor allem im Nordirak oder in Syrien. Künftig aber könnte sich der Terror verlagern, sagt der Orientalist Jan Ilhan Kizilhan.

Es sind unfassbare Geschichten, die Jan Ilhan Kizilhan erzählt. Geschichten von Menschen, die geköpft wurden, von Männern, die lebend in Fässer voller Säure geworfen wurden.

Geschichten wie diese: Ein achtjähriges Mädchen sei vom IS gefangen genommen worden, erzählt Kizilhan. «Der IS stellte den Grossvater des Mädchens in eine Reihe mit weiteren Männern, hielt dem Kind eine Waffe an den Kopf und drohte, sollte sie die Augen schliessen, würde auch sie sterben. Sie sollte mit ansehen, wie ihr Grossvater erschossen wird.» Das Mädchen sei insgesamt zehn Monate in der Gewalt des IS gewesen und sechs Mal weiterverkauft worden. «Während dieser Zeit wurde sie mehr als hundert Mal vergewaltigt.»

Psychologisch gesehen wird ein Raum geschaffen, in dem es keine Gesetze gibt. Menschen können mit Menschen machen, was sie wollen. Sie verlieren sich in Aggression und Hass.

Hunderte solcher Geschichten hat Jan Ilhan Kizilhan von den Opfern gehört – und sie brachten den erfahrenen Psychologen oft an seine Grenzen. Die wahllose Barbarei führt er auf die traurigen Verhältnisse, in denen viele der Kämpfer aufwuchsen, die Gewalt, die herrschte, die Armut, die Arbeitslosigkeit oder die Korruption, die keine Hoffnung barg auf eine zufriedene Zukunft.

Hinzu kam die göttliche Mission, in der sich die Islamisten wähnen, die viele Kämpfer blind für die Grausamkeiten macht. «Psychologisch gesehen wird ein Raum geschaffen, in dem es keine Gesetze gibt», erklärt Kizilhan. «Menschen können mit Menschen machen, was sie wollen und sie verlieren sich in völliger Aggression und im Hass.»

Dabei war diese Brutalität des so genannten «Islamischen Staates» (IS) zu Beginn nicht abzusehen, sagt Kizilhan. «Der IS war die radikalere Form der Al-Kaida, die dieses Gebiet unter Kontrolle bekommen wollte gegen die so genannten Imperialisten, die Kreuzzügler – symbolisch vor allem gegen Amerika.»

Die Unterstützung gibt es weiterhin

2014 änderte sich das. «Dann merkte der IS, dass er grossen Zulauf und Interesse auch aus der arabischen Welt bekam. Wir dürfen nicht vergessen, auch jetzt haben wir noch bis zu sechs Millionen Menschen unter der Kontrolle des IS.»

Die Terrormiliz habe nach wie vor Unterstützung, sonst hätte sie sich gar nicht so lange halten können, sagt Kizilhan. «Der IS hat in der Führungsriege ehemalige Generäle des Saddam-Regimes oder Guerilla-Kämpfer aus Tschetschenien und Bosnien. Dazu kommen viele finanzielle Unterstützer aus der arabischen Welt bis in die Türkei.» Nur so sei es möglich, dass der IS weiter bestehen könne.

Handbuch regelt den Umgang mit Frauen

Um diesen Zustrom an ausländischen Sympathisanten zu steigern, setzte der IS immer gezielter Frauen als Kriegsbeute ein. Kizilhan zitiert ein offizielles Handbuch des IS über den Umgang mit den so genannten Sklavinnen, nicht-muslimischen Mädchen und Frauen, die in den eroberten Gebieten verschleppt und missbraucht werden. «Es gibt ein Pamphlet, in dem beschrieben wird, wie Frauen vergewaltigt werden sollten, wie oft, welche sexuellen Praktiken an ihnen vorgenommen werden dürfen und ob man sie weiterverkaufen darf», beschreibt Kizilhan das Grauen.

Und es gebe eine Art Zukunftsplanung. «Später fingen sie an, auch Kinder zu zeugen.» So sollte eine Generation von Kindersoldaten entstehen, die weiter für diesen Islamischen Staat kämpfen solle.

Dennoch werde sich die Terrormiliz im Nordirak und in Syrien nicht halten können, glaubt der Orientalist, der selber aus diesem Gebiet stammt. Aber sie werde nicht aufgeben, sondern ihr Kampfgebiet verlagern. «Der IS sucht nun nach neuen Möglichkeiten des Rückzugs – Pakistan, Afghanistan, aber auch Libyen und afrikanische Länder gelten als mögliche Ziele.» Indem man Angst und Schrecken verbreite, solle die eigene Position gestärkt und die Ideologie gefestigt werden, sagt Kizilhan. Dieser Terror richte sich auch gegen Europa. Die Anschläge in Paris, Nizza oder Berlin, glaubt Kizilhan, seien erst der Beginn der neuen IS-Strategie.

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