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Berichterstattung aus Derna «Wir wurden in der Unterkunft festgehalten»

Nach der Flutkatastrophe in Derna berichten Journalistinnen und Journalisten, dass sie im Krisengebiet an ihrer Arbeit gehindert werden. Eine dieser Medienschaffenden ist die freie Journalistin Stefanie Glinski, die bis am Sonntag in Derna war und von der schwer getroffenen Region berichten wollte. Sie erzählt, was sie erlebt hat.

Stefanie Glinski

Freie Journalistin im Nahen Osten

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Die freie Journalistin Stefanie Glinski berichtet unter anderem für den britischen «Guardian», «Foreign Policy» und die «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Sie konnte nach der Flutkatastrophe nach Derna in Libyen reisen.

SRF News: Können Sie uns die Situation schildern?

Stefanie Glinski: Wir waren in Derna, in Ost-Libyen, und wurden, nachdem wir einen Tag gearbeitet hatten, für eineinhalb Tage festgehalten. Soldaten standen vor der Tür der Unterkunft und liessen uns nicht raus. Sie haben uns gut behandelt, man hat Essen und Kaffee bekommen, aber man war eingesperrt. Auch viele andere Journalisten erzählen, dass beispielsweise ihre Live-TV-Gespräche unterbrochen wurden. Andere berichteten, dass sie zum Teil ihre Fotos löschen mussten. Nach einer Woche sagte uns die Armee zudem, dass alle Journalisten aus Derna rausmüssten. Dafür gab es verschiedene Begründungen, die sich ständig änderten. Was aber klar war: Freie Berichterstattung aus Derna war nicht gewollt.

Als die Menschen kamen, um zu protestieren, wurden meine Kolleginnen und ich sofort in ein Auto gepackt und weggefahren.

Geht es der Regierung darum, kritische Stimmen in Schach zu halten?

Ja, nach den Protesten von Überlebenden hat sich alles noch mehr geändert. Ich schaffte es bis vor diese eine Moschee. Als dann die Menschen kamen, um zu protestieren, wurden meine Kolleginnen und ich sofort in ein Auto gepackt und weggefahren. Berichterstattung von da war nicht gewollt. In Libyen ist die Pressefreiheit an sich eingeschränkt. Die Teilung zwischen Ost und West verschlimmert es noch. Es gibt zwei Administrationen, die unterschiedlich mit Journalisten und Journalistinnen umgehen. Besonders schlimm ist es für die einheimischen Journalisten. Es ist schade, denn es geht um die Flutkatastrophe und um die Menschen, die bei Demonstrationen Gerechtigkeit fordern. Das möchte die Regierung aber nicht in den internationalen Medien sehen.

Was hat das für Folgen für die Menschen vor Ort?

Sich mit Menschen vor Ort zu unterhalten, geht nur in Anwesenheit der Armee. Das bedeutet, dass viele nicht offen sprechen wollen.

Wir haben aktuell die grösste Katastrophe in Afrika und die Bevölkerung weiss nicht viel.

Wenn wir über das Leid berichten, ist dies für die libysche Regierung eigentlich vorteilhaft, gleichzeitig ist es das, was die Regierung nicht sehen will. Es geht ihr fast mehr um das Image von Libyen, nicht um die Geschädigten. Die Folge davon: Wir haben aktuell die grösste Katastrophe in Afrika und die Bevölkerung weiss nicht viel. Das Telefonnetzwerk wurde nach der Demonstration komplett abgestellt. Die Leute konnten sich nicht mehr verständigen. Wir als Journalisten konnten das Internet nicht mehr benutzen. Zum Teil hat uns die Armee Satelliteninternet zur Verfügung gestellt.

Eine grosse Menschenmenge vor einer Moschee mit zwei Türmen
Legende: Auch Journalistin Stefanie Glinski war vor dieser Moschee – bis sie weggebracht wurde. Keystone/str

Erhalten wir überhaupt noch adäquate Informationen aus diesem Krisengebiet?

Momentan ist das sehr schwierig. Die Gruppe von Journalisten, die mit mir in Derna war, wurde in einen Bus gepackt und nach Bengasi gefahren. Und viele Journalistinnen und Journalisten von grossen amerikanischen und deutschen Zeitungen und Zeitschriften haben es gar nicht bis nach Derna geschafft.

Wie erklären Sie sich das Verhalten der Armee: Sie wurden festgehalten, andererseits wollten die Soldaten mit Ihnen Selfies machen?

Es war eine komplett bizarre Situation. Die Soldaten waren auch nett und wollten Selfies mit den Journalisten machen. Einerseits bekamen wir zu hören: «Wir würden euch gerne rauslassen, sodass ihr eure Arbeit machen könnt. Es wäre uns auch wichtig.» Andererseits meinten sie aber, dass sie Anweisungen von oben folgen müssten.

Das Gespräch führte Can Külahcigil.

SRF 4 News, 25.09.2023, 06:20 Uhr ; 

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