Etréchy, im Departement Cher, im Herzen Frankreichs. Man muss schon sehr genau suchen, um den Ort auf der Landkarte zu finden. 465 Seelen. Ein verschlafenes Nest. Ausser donnerstags. Dann, gegen Abend, kommt Sebastien Cherrier nach Etréchy. Und stellt seinen umgebauten Renault Trafic, Baujahr 1991, auf den Dorfplatz. Von 18 bis 22 Uhr schenkt er hier aus.
Seit ein paar Monaten schon tourt Cherrier durch die Dörfer des Cher. Von Montag bis Samstag, manchmal auch sonntags. «Ich habe im letzten Winter mit meiner Bar auf Rädern begonnen. Und viele wunderten sich darüber. Weil wir ja draussen sind, im Freien. Aber die Leute kamen von Anfang an, und werden immer mehr. Manche fahren dafür sogar zwanzig Kilometer oder mehr.»
Cherriers Bar, sein «Bar Truck» wie er sie nennt, fällt auf. Das Fahrzeug ist komplett verrostet, und das mit Absicht. Das Steuerrad ist ein Kettenring, auf dem Armaturenbrett prangt ein Totenschädel. Und Cherrier selbst: Tätowiert von Kopf bis Fuss, mit langem Bart und Glatze – er ginge auch als Rocker durch. Der 45-Jährige stammt aus der Gegend hier.
Es hat mich betrübt zu sehen, wie all die Dörfer hier sterben. Man redet nicht mehr miteinander, niemand geht mehr aus.
Einst war er Sozialarbeiter, führte ein Brockenhaus. Und sah zu, wie sich die Dörfer seiner Kindheit veränderten. «Es hat mich betrübt zu sehen, wie all die Dörfer hier sterben. Man redet nicht mehr miteinander, niemand geht mehr aus. Ich habe die Dörfer gekannt, als es da noch viele Bistros gab. Wo man sich getroffen hat. Das Bistro gehört doch zu den Dörfern Frankreichs. Deshalb kam ich auf die Idee mit der ambulanten Bar.»
Der Tresen, wo die Französinnen und Franzosen über einem Kaffee oder einem Glas täglich die Welt neu erfinden – in mehr als zwei Dritteln aller Gemeinden im Land gibt es den mittlerweile nicht mehr, wie eine Studie von 2017 zeigt. Veränderte Lebensgewohnheiten und die Arbeitsmobilität haben der einst traditionsreichen Bistrokultur zugesetzt. Viele Menschen arbeiten auswärts, machen dort ihre Einkäufe, kehren abends zurück und bleiben dann zu Hause.
Brot gibt's in der Bibliothek
Und in den Dorfzentren herrscht Tristesse. Auch in Etréchy. Die letzte Café-Bar schloss schon vor Jahren. Auch gibt es keine Post mehr, keinen Arzt. Der letzte Bäcker wurde pensioniert, einen Nachfolger fand er keinen. Übrig geblieben ist nur die Bibliothek, die gleichzeitig als Postagentur herhalten muss und wo man Brot kaufen kann.
Umso mehr schätzen die Bewohner Sebastien Cherriers «Bar Truck». Am Tresen wird getrunken und politisiert – und über Präsident Macron geschnödet. Etwa zwanzig Leute kommen an diesem Abend zu Coco, wie sie Cherrier liebevoll nennen. Gemütlich sei es hier, sagen sie alle, der «Bar Truck» bringe Leben ins Dorf.
Die Bar auf Rädern als sozialer Treffpunkt. Noch rechnet sich die Idee für Cherrier nicht. Dennoch ist er überzeugt, dass er eine Nische gefunden hat, von der er dereinst leben kann. Und wenn nicht? «Selbst wenn ich tagsüber eine andere Arbeit suchen müsste, um zu überleben, gebe ich die Bar hier am Abend nicht auf. Sicher nicht».