Solche spezifisch für diesen Monat produzierten Drama-Serien nennt man Musalsalat, welche sich oft mit sensiblen politischen und gesellschaftlichen Themen der Region auseinandersetzen. So auch «Bitlou al Rouh», eine Serie über die Terrororganisation IS.
Eine Familie gerät in den Sog des IS
Der Titel der Drama-Serie über den IS ist düster: «Bitlou al Rouh» – Die Seele fährt aus dem Körper. Die Serie erzählt von Menschen, die in den Sog des IS geraten – basierend auf wahren Geschichten und journalistischen Recherchen.
Im Zentrum steht ein erfolgreiches Karriere-Paar aus Kairo. Akram ist ein Werbefachmann, welcher den fanatischen Botschaften des IS lauscht und sich eines Tages den Extremisten anschliesst. Er entführt den gemeinsamen Sohn nach Syrien und lockt damit seine Frau Rouh ebenfalls dort hin – und somit auch hin zum IS, wo Rouh zur Kämpferin ausgebildet werden soll.
Starke Frauenfiguren stehen im Zentrum
In ihrer Ausbildung trifft Rouh auf die hasserfüllte Um Dschihad, gespielt von der ägyptischen Schauspiellegende Elham Shahin, die für ihre gewagten Rollen berühmt ist.
«Wenn du zielst, musst du den Menschen vor Augen haben, den du am meisten hasst,» erläutert die IS-Führerin Um Dschihad. Die Dynamik zwischen den beiden Hauptdarstellerinnen hat Tiefe : sie zeigt die Pervertierung von Religion ins Grausame und Unmenschliche in einer fast unerträglichen Deutlichkeit.
Auch Rouh wird von einer berühmten ägyptischen Schauspielerin gespielt: Menna Shalaby. Sie ist die erste arabischen Schauspielerin, die in den USA je für den Fernsehpreis Emmy nominiert wurde (2021) .
Regie des Dramas führte Kamlah Abu-Zikri. Frühere Filme der ägyptischen Regisseurin wurden unter anderem an den Filmfestivals in Venedig und Cannes gezeigt. Ihre grosse Stärke in der Drama-Serie über den IS ist die Inszenierung von Dialogen zwischen den IS-Frauen.
Enttabuisierung und Auseinandersetzung
Die Serie ist eine Auseinandersetzung mit dem IS, wie es sie in dieser Region noch nie gab. Und sie löst unzählige Diskussionen in Radio- und TV-Talkshows sowie in den sozialen Medien aus. Kern der Diskussionen ist ein Dilemma: Der IS benutzt alle Symbole des Islam – und macht daraus seine eigene mörderische Ideologie. Diese ist für den muslimischen Mainstream abstossend und peinlich, und sie hat den Islam vor allem in der westlichen Welt in Verruf gebracht.
Zahlreiche muslimische Geistliche distanzieren sich denn auch klar vom IS: gleichzeitig aber distanzieren sich viele in der arabischen Welt vom Westen. Dieser ist spätestens seit der US-angeführten Irak-Invasion 2003 in der Region kein Vorbild mehr. Im Nachgang dieser Invasion wurden Hunderttausende Irakerinnen und Iraker getötet, die USA betrieben in Abu Ghraib ein Foltergefängnis, das Straflager Guantanamo gibt es bis heute. Eine Art, sich vom Westen zu distanzieren, ist, indem Religion im Nahen Osten verstärkt als Teil der eigenen Identität betont wird. Das nutzen aber wiederum Fundamentalisten und Fanatiker wie der IS aus: «Bist du nicht religiös, dann bist du westlich und damit ein Verräter.»
Diese Serie über den IS zeigt deutlich: sich vom Westen distanzieren und religiös sein kann niemals die Grausamkeit eines IS rechtfertigen. Diese Diskussion hat diese Serie ausgelöst – gerade auch in Ägypten, von wo die Macher der Serie stammen. Und die Ramadan-Zeit ist jene Zeit, in welchen TV-Produktionen gerne auf sensible politische und gesellschaftliche Themen aufmerksam machen.
TV-Serien haben während des Ramadans Hochkonjunktur
Denn zu keiner Zeit werden im mittleren Osten mehr fiktive TV-Serien konsumiert wie zum Ramadan. Und einer der grössten und bekanntesten Produktionsorte von Ramadan-TV-Serien ist Ägypten. «Die Top-Shows kommen von hier und werden über die ganze Region verbreitet», erklärt der ägyptische Filmkritiker Joseph Fahim in einem Interview. Er beschreibt die Filmindustrie Ägyptens als das «ehemalige Hollywood der arabischen Welt», das einst bestehende Tabus brach und dessen Inhalte in der gesamten Region Aufsehen erregten.
Heute sei die ägyptische Filmindustrie jedoch vor allem durch harte Zensur und Eingriffe des Staatsapparates in Inhalte und Produktionsabläufe geprägt. So ziehen mit der generellen Abendunterhaltung das ganze Jahr über auch propagandistische Inhalte in die Wohnzimmer der Zuschauer ein. Die anhaltende Bedrohung durch den IS und seine fanatische Ideologie sind wohl auch der Grund, weshalb die Serie nicht der sonst so rigiden Zensur zum Opfer gefallen ist.
Besonders Frauen lieben die Ramadan-Shows
Wie wichtig der Ramadan für die Filmindustrie ist, zeigen auch die Preise für Werbespots, welche ich zur Ramadan-Zeit vervielfachen. Kein Wunder: während dieser Zeit erzielen die absoluten Top-Shows ein Publikum von bis zu 50 Millionen Zuschauern, 23% aller Ägypter geben an, während des Ramadans mehr Fernsehen zu konsumieren.
Und: die TV-Serien sind besonders bei Frauen beliebt. 6 von 10 der Zuschauenden sind weiblich. Für dieses Publikum setzen die Produktionsfirmen daher auch mehr auf fiktive Drama-Serien. Üblicherweise dominieren religiöse Shows, News-Formate und Talk-Shows das Fernsehen, fiktive TV-Serien sind da eher bescheiden. Während der Ramadan-Zeit jedoch wird die Zahl solcher Serien beinahe verdreifacht.
«Bitlou al Rouh» kombiniert nun aber Fiktion mit einem aktuellen, bedrohlichen und sehr realen Thema und sorgte damit für eine intensive Diskussion in ganz Ägypten.
Kampf gegen Terror in Ägypten
Der IS bleibt für Ägypten eine Gefahr, obwohl das ägyptische Régime mit aller Härte gegen extreme Ideologien kämpft. Hier liegt aber auch ein Problem: Die ägyptische Regierung ist flächendeckend und brutal repressiv. Sie hat Zehntausende eingekerkert, auch solche, die überhaupt nichts mit dem IS am Hut haben. Die überfüllten Gefängnisse des Landes mit ihren demütigenden und unmenschlichen Haftbedingungen sind ideale Rekrutierungszentren des IS.
Eine Grundsatzdiskussion über Menschenrechte hat die Serie über den IS zwar nicht ausgelöst. Sie hat jedoch ein Stück weit das Tabu IS gebrochen. Statt peinlich berührt zu schweigen, reden seit Ramadan viele über Religion, Fanatismus, und über ihre eigenen furchtbaren Erfahrungen mit Terrorismus, der im Namen einer ganzen Religion geführt wird.