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Bizarrer Hype um Drogenbosse Warum Serien wie Narcos nicht cool sind

Serien erzählen packend die Geschichte von Drogenbossen wie Pablo Escobar. Unvollständig und nicht hilfreich, finden viele Kolumbianerinnen und Kolumbianer.

In einer Bar in Paris tragen die Bedienungen schusssichere Westen, an die Wand gemalt: das Konterfei von Pablo Escobar. Im britischen Nottingham findet sich in der «Escobar» ebenfalls eine grosse Wandmalerei des Drogenbosses. Ein Restaurant in Melbourne verkauft «Escoburger». 

Der Drogenboss als Kultfigur: Die kolumbianische Journalistin Silvia Hoyos kann den bizarren Hype, der auch durch Serien wie «Narcos» genährt wird, nicht nachvollziehen.

Opfer und Frauen finden keinen Platz in Serien

Escobar liess den Onkel von Silvia Hoyos, damals Generalstaatsanwalt in Kolumbien, im Jahr 1987 entführen und erschiessen: «Er ist verblutet, ist nicht einmal 60 Jahre alt geworden. Pablo Escobar war ein Monster, oder wie soll man sonst jemanden nennen, der so viele Menschen auf dem Gewissen hat?»

Die Journalistin ist nicht grundsätzlich gegen Serien, in denen es um Drogenhandel geht, mit historischen Persönlichkeiten. Sie kritisiert den Blickwinkel: «Ich würde gerne andere Stimmen hören, nicht immer die des Gangsters an erster Stelle, wo sind zum Beispiel die Frauen?»

Sie sehe auch die Rolle der Opfer nicht. «Ich frage mich: Wann werden wir Opfer in der Film- und Fernsehindustrie Platz finden? Wann kommt endlich ein Drehbuchautor auf diese Idee?», so Hoyos.

Buch soll ganze Geschichte des Drogenhandels hinterfragen

Drogenhändler Pablo Escobar liess Richter, Politiker, Journalisten ermorden – mindestens 623 Attentate gehen auf seine Rechnung, genau wie tausende von Morden. Um eine Person zu töten, holte er gar ein ganzes Flugzeug vom Himmel.

Angesiedelt war sein Kartell in der Stadt Medellín, im Westen Kolumbiens. Dort arbeiten Alfonso Buitrago und Edgar Jiménez, genannt El Chino, derzeit an einem Buch, das im Januar erscheinen soll. El Chino war der persönliche Fotograf von Pablo Escobar. Ihr Ziel: Die ganze Geschichte zu erzählen, vollständig und kritisch.

Falsche Sicht auf die Zeit in Medellin

«Es ist, als gäbe es ein internationales Drehbuch, das versucht, eine lateinamerikanische Figur zu erklären - ohne zu berücksichtigen, wie diese Zeit in Medellín erlebt wurde.», sagt Alfonso Buitrago. Die Geschichte der Opfer werde verdrängt und viele derer, die noch leben, würden nicht sprechen.

Denn: «Der Prozess ist historisch gesehen noch jung, gerade mal 20, 30 Jahre.» Das Buch wolle auch den sogenannten «Krieg gegen die Drogen» hinterfragen und jene, die damals wie heute den Drogenhandel möglich machten, in Politik und Wirtschaft, sagt der Autor.

Internationales Problem

Autor Buitrago erklärt: «Wir sprechen von einem globalen, internationalen Geschäft mit Geldern, die weltweit in Banken und Steuerparadiesen landen, welche den Tod in anderen Ländern finanzieren. Das ist das Problem, nicht Pablo Escobar. Schweizer würde ich gerne nach ihrer Rolle im Krieg gegen Drogen fragen, als internationaler Finanzplatz, wo auch Geld gewaschen wurde.»

Fotograf Jiménez hat Bilder von Pablo Escobars Nilpferden in seinem Archiv. Aber auch von der Ungleichheit in der Gesellschaft, wie die Aufnahme eines Mädchen auf einer Müllkippe. Dieses Bild fertigte er damals auf Bitten von Escobar an. Die beiden kannten sich schon von der Schulbank.

Er habe nur den Anfang der Serie «Narcos» geschaut, sagt der Fotograf: «Es gibt fast keine einzige Fernsehserie, in der ein Darsteller Pablo Escobar wirklich ähnelt.» Nur in einer einzigen kolumbianischen Serie komme ihm der Darsteller recht nah. «Aber dieser brasilianische Schauspieler in Narcos, der ist ihm gar nicht ähnlich.»

Pablo Escobar in der Fernsehserie sitzt vor einem Haufen Geldbeutel
Legende: Pablo Escobar in der Fernsehserie «Narcos». imago images

Mit der Sprengung des Gebäudes Edificio Mónaco, in dem Escobar einst lebte, war Autor Buitrago nicht einverstanden: «Die Sprengung war Teil einer politischen Strategie: Der Bürgermeister wollte international auf den Titelseiten stehen. Er versuchte, mit Dynamit ein globales Gespenst zu begraben – das durch die Macht von Netflix und der Unterhaltungsmaschinerie noch grösser geworden war.»

Das Grab von Pablo Escobar, umgeben von Besuchern
Legende: Besucher am Grab von Pablo Escobar. imago images

Doch auch zwei Jahre nach der Sprengung gibt es trotz Corona-Pandemie längst wieder Touristen, die eine der sogenannten «Escobar-Touren» mitmachen, die Besucher an jene Orte führt, an denen der Drogenboss lebte, im Gefängnis sass oder auch die letzte Ruhe fand.

Zukunftsoptionen für Medellíns Jugend aufzeigen

Dabei wären in Kolumbien viele gerne längst einen Schritt weiter. Etwa in den Armenvierteln von Medellín, wo Sozialarbeiter und Lehrer versuchen, den Jugendlichen Zukunftsoptionen zu eröffnen. Und sie vom Traum vom schnellen Geld abzubringen.

So wie Sebastián Pabón, der in der privaten Stiftung Fundación Cultural El Hormiguero Kinder und Jugendlichen Musikunterricht gibt. «Es geht darum, den Jugendlichen andere Formen zu zeigen, das Leben zu verstehen: ausgehend von Freundschaft, Solidarität, Lachen», sagt Pabón.

Kleindealer vergleicht er mit Bauernfiguren im Schachspiel: Sie werden zuerst geopfert, haben keinen Rückzugsort – und die Könige bleiben lange oder für immer unbehelligt.

Wenn der Musiklehrer Touristen mit Escobar-T-Shirts sieht, schüttelt er nur den Kopf: «Ich empfinde es als respektlos, wenn ich Ausländer mit einem Pablo-Escobar-T-Shirt sehe. Da frage ich mich, weiss der eigentlich, was er da macht? Das ist doch, als trage man in Deutschland ein T-Shirt mit Hitler drauf.»

Escobar-T-Shirts werden verkauft, im Hintergrund eine belebte Strasse
Legende: Escobar-T-Shirts werden auf einem Markt in Medellín verkauft. imago images

Doch Escobar ist längst eine weltweite Ikone. Und fast 30 Jahre nach seinem Tod hat Netflix erneut weltweite Aufmerksamkeit für seine Geschichte und die von anderen Drogenbaronen geschaffen.

10 vor 10, 25.11.2021, 21:50 Uhr

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