Luca Dal Poggetto ist ein Mann der Zahlen. Er arbeitet für die unabhängige Nichtregierungsorganisation Openpolis, welche Daten der öffentlichen Verwaltung auswertet. Zu den Corona-Milliarden, die Rom möglichst schnell in Brüssel abholen sollte, zeichnet er ein düsteres Bild.
Die Regierung Meloni hätte 200 Dekrete, also Beschlüsse, erlassen müssen, um Gelder der EU abzuholen. Aber 85 Prozent dieser Beschlüsse fehlen bis heute, nur 15 Prozent hat die Regierung rechtzeitig verabschiedet.
Wegen dieser Verspätung ist viel Geld blockiert oder droht ganz verloren zu gehen. Ganze 17 Milliarden Euro hätte die Regierung in Rom zugute, würde sie vorwärtsmachen.
Ungenutzte EU-Milliarden
Luca Dal Poggetto nennt ein Beispiel: Zwei Milliarden Euro könnte Rom in den Bau von Wohnungen für Studentinnen und Studenten investieren. Doch es fehlten dafür notwendige Erlasse. So bleibt etwa unklar, ob der Staat oder Private diese Wohnungen bauen sollen und welche Firmen sich bewerben dürfen. Das Resultat: Die zwei Milliarden bleiben ungenutzt liegen.
Woran liegt das? Dal Poggetto sagt, die Regierung Meloni habe sich in den letzten Monaten stark mit nur einem, allerdings zentralen Thema beschäftigt, nämlich mit der galoppierenden Teuerung. Die Regierung habe diverse Gesetze erlassen, um Gas, Strom oder Erdöl zu verbilligen. Und habe deswegen anderes liegen lassen.
Die von Openpolis und Dal Poggetto ausgewerteten Daten zeigen aber auch, dass die Vorgängerregierung unter Mario Draghi ebenfalls mit vielen Krisen zu tun hatte und trotzdem fast alle Projekte pünktlich nach Brüssel geschickt habe. Doch verglichen mit Draghi verfügt Meloni über weniger Erfahrung. Und teilweise fehle es in der Regierung auch am Willen, von Draghi entworfene Projekte nun zu Ende zu führen.
Zu wenig qualifiziertes Personal in Gemeinden
Nicht nur die nationale Regierung in Rom hat Probleme, auch viele Gemeinden sind überfordert, Gelder aus EU-Töpfen zu holen. Dal Poggetto erklärt: Viele, vor allem kleine Gemeinden, hätten schlicht zu wenig qualifiziertes Personal, um ein von der EU finanziertes Projekt umzusetzen.
In der langen italienischen Krise nach 2008 und nach etlichen Sparprogrammen sei die Verwaltung vieler Gemeinden ausgedünnt und hoffnungslos überaltert. In vielen Rathäusern mangle es an digitaler Kompetenz.
Eigentlich müsste man schnell, viele, junge, fähige Leute einstellen. Aber auch hier gebe es einen typisch italienischen Engpass, die «concorsi». Stellen in der öffentlichen Verwaltung müssen zwingend über landesweit ausgeschriebene Bewerbungsverfahren («concorsi») besetzt werden. An diesen beteiligen sich meist Tausende. Wer eine Absage erhält, kann rekurrieren. Und so dauern «concorsi» manchmal Jahre.
«Ritardo», Verspätung, ist ein Wort, das man in Italien auf vielen Ebenen kennt. Und die das Land, so zeigen die ausgewerteten Daten, auch noch weiter behindern wird.