Der Bomben-Anschlag in Nordirland vom Wochenende lässt aufhorchen. Der Anschlag in Londonderry ereignet sich nämlich während der festgefahrenen Brexit-Verhandlungen. Die nordirische Polizei vermutet, dass eine Splittergruppe der militanten Untergrundorganisation IRA hinter dem Anschlag steht. Wieso schlägt die IRA gerade jetzt wieder zu? Das erklärt der Politikwissenschaftler Peter Neumann.
SRF News: Glauben diese Personen wirklich, dass man mit Gewalt neue Mitglieder gewinnt?
Peter Neumann: Ich denke schon, dass sie selbst davon überzeugt sind. Die meisten Leute in Nordirland sind es nicht. Die meisten Politiker und grosse Teile der Gesellschaft gehen davon aus, dass es nicht zu einer Rückkehr zum Bürgerkrieg wie in den 1970er- und 80er-, 90er-Jahren kommt. Durch die Situation, die durch den Brexit entstanden ist, besteht die Gefahr, dass die Fortschritte der letzten 20 Jahre jetzt wieder zurückgedreht werden und alte Wunden wieder aufreissen.
Dieser Anschlag fällt in die Phase der Brexit-Diskussionen. Es droht eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland – wieder eine Spaltung. Inwiefern wollen die Täter da ein Zeichen setzen?
Erstens signalisiert man den Politikern in Brüssel, Irland und Grossbritannien, dass es bei einer harten Grenze wieder zu Gewalt von Katholiken und zu einer Rückkehr des Bürgerkriegs kommt. Ob es tatsächlich so ist, ist meiner Meinung nach fraglich.
Ihr anderes Publikum sind die eigenen Anhänger oder die potenziellen Anhänger. Das sind Leute, die wegen der Situation in Nordirland sehr frustriert sind. Sie glauben, dass diese Gruppen für das vereinte Irland kämpfen und sich wirklich für ihre Anliegen einsetzen und mit Gewalt verhindern können, dass es wieder zu einer harten Grenze kommt. Auch das ist meiner Meinung nach eine falsche Annahme. Aber es gibt möglicherweise einige Leute, die sich dadurch beeindrucken lassen.
Die Polizei verdächtigt bei diesem Anschlag Mitglieder einer Splittergruppe der Untergrundorganisation IRA, die sich New IRA nennt. Zwei Männer sind festgenommen worden. Wer steht hinter dieser neuen IRA?
Schon 1998, nach dem Abschluss des Friedensabkommens, haben sich einige sehr radikale Elemente der IRA geweigert, mitzumachen. Sie haben gesagt: «Wir kämpfen weiter. Wir wollen keinen Kompromiss mit den Briten.» Aus diesen Splittergruppen sind Gruppen, wie zum Beispiel die New IRA hervorgegangen. Das sind nach wie vor sehr kleine Gruppen, die aber sehr gut vernetzt sind. Sie haben zwar nicht besonders viel Unterstützung in der Bevölkerung. Viele ihrer Mitglieder waren aber bereits in den 1990er-Jahren bei der IRA dabei. Das heisst, sie wissen, wie man eine terroristische Kampagne organisiert. Sie haben bereits in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, etwas in Gang zu bringen.
Vor gut 20 Jahren endete der nordirische Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Protestanten mit dem Karfreitagsabkommen. Wie brüchig ist dieser Frieden?
Der Frieden ist nach wie vor brüchig. Es gibt keine wirkliche Aussöhnung. Die zwei Bevölkerungsgruppen sind nach wie vor stark getrennt. Aber es gibt zumindest keine Gewalt mehr. Das war der grosse Erfolg des Friedensabkommens 1998. Keine Gewalt ist die Voraussetzung für Aussöhnung. Wenn jetzt die Gewalt wieder anfängt, ist die Aussöhnung noch schwerer vorstellbar. Deshalb ist es sehr wichtig, dass in Nordirland der nach wie vor relativ brüchige Frieden nicht noch brüchiger wird.
Das Gespräch führte David Karasek.