Das Wichtigste in Kürze
- Bei den Verhandlungen zwischen Grossbritannien und der EU stellten sich unerwartete Diskussionspunkte.
- Das Vereinigte Königreich möchte zwar aus der EU austreten, trotzdem aber in gewissen Fällen mitreden können.
- Für die EU ist dies inakzeptabel. Chef-Unterhändler Michel Barnier sieht deshalb das Übergangsabkommen in Gefahr.
Grossbritannien und die EU haben diese Woche in Brüssel mal wieder über den Brexit verhandelt; es war die erste Verhandlungswoche nach den Weihnachtsferien. Nun verhandelten die beiden Seiten erstmals auch über die angepeilte Übergangszeit – zwischen dem Austritt Grossbritanniens und bis ein definitives Abkommen in Kraft sein wird. Und da sieht die EU-Kommission bereits jetzt die Alarmglocken läuten, das Übergangsabkommen sei in ernsthafter Gefahr.
In Brüssel ging man bis anhin davon aus, dass es bei den Verhandlungen über die Übergangsfrist keine grossen Probleme geben dürfte. Denn die britische Seite möchte eine solche Übergangsfrist und sie betonte auch immer wieder, dass sie die Verhandlungen darüber so rasch als möglich beenden wolle, bis im März.
Druck von der Industrie
Vor allem die britische Industrie drängt auf das Tempo. Sie hat immer wieder gesagt, sie müsse jetzt, im ersten Quartal 2018, wissen wie es nach dem Brexit weitergehe. Weil sie Entscheide für künftige Investitionen jetzt fälle.
Die Übergangsfrist gilt ab dem Zeitpunkt des Austritts und bis eine definitive künftige Regelung in Kraft sein wird. Im Grundsatz sollte eigentlich folgendes gelten: Während dieser Zeit soll das Vereinigte Königreich weiterhin den Zugang zum Binnenmarkt haben, es soll bei der Zollunion mit dabei sein, es soll alle Regeln akzeptieren – aber weil es kein Mitglied mehr ist, soll es nichts mehr zu sagen haben.
Doch nun stellt die britische Seite das plötzlich in Frage, sie möchte nicht alle Regeln übernehmen und sie möchte in gewissen Fällen mitreden können. Für die EU ist dies inakzeptabel. Michel Barnier, der Chef-Verhandler der EU, ist ob diesen Forderungen denn auch überrascht. Wenn die britische Seite dabei bleibe, sei das Übergangsabkommen gefährdet, betonte er, explizit auf Englisch.
Das macht Barnier oft, er spricht normalerweise Französisch. Auf Englisch wechselt er dann, wenn er den Menschen im Vereinigten Königreich direkt etwas mitteilen will, ungeschminkt und unverfälscht. Und auf Englisch hatte er noch eine zweite Botschaft:
«Es ist wichtig die Wahrheit zu sagen», so Michel Barnier – offensichtlich hat er den Eindruck, dass die Politiker im Vereinigten Königreich das nicht immer tun. Bei dieser zweiten Botschaft geht es um ein zweites grosses ungelöstes Problem: «Wenn Grossbritannien die Zollunion und den Binnenmarkt verlässt, wie angekündigt, dann wird es an der Grenze zwischen Irland und Nordirland wieder Grenzkontrollen und also eine harte Grenze geben.»
Harter Brexit ist ernsthaft in Frage gestellt
Doch genau das darf es nicht geben, darauf haben sich die beiden Seiten vor Weihnachten geeinigt. Der Friedensprozess darf unter keinen Umständen gefährdet werden. Die Frage ist, wie soll das gelöst werden. Bei den von Grossbritannien befürworteten Optionen fehlen aber noch immer die Grundlagen. Deshalb konzentrieren sich die beiden Seiten nun auf die eigentliche Rückfallposition.
Dabei bleibt Nordirland in der Zollunion und im Binnenmarkt drin. Der harte Brexit ist damit ernsthaft in Frage gestellt, das wird die britische Premierministerin Theresa May ihren Leuten erklären müssen. und das ist wichtig, weil ohne Lösung bei der Nordirland-Frage gibt es kein Austritts-Abkommen; und wenn der Brexit nicht geregelt ist, gibt es auch kein Abkommen über die Übergangsgfrist. Dieses ist also von zwei Seiten in Gefahr. Diese Botschaft sendete Brüssel heute nach London.