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Brutale Drogengangs Bandengewalt in Schweden eskaliert

Immer wieder kommt es zu Schiessereien, Unbeteiligte werden getötet. Die repressive Drogenpolitik ist wohl mitschuldig.

Es sind die schönsten Tage des Jahres: In den warmen Mittsommerwochen wird in Schweden ausgiebig gefeiert. Die Schulen schliessen für die langen Ferien mit traditionellen Festen. Die sonst eher zurückhaltenden Schwedinnen und Schweden geniessen gemeinsam die hellen Nächte, in denen die Sonne nur noch kurz hinter dem Horizont verschwindet.

In Schweden ist sogar der Eigenkonsum kleiner Mengen von Cannabis kriminalisiert.
Autor: Björn Johnson Drogenexperte, lehrt Sozialarbeit an der Universität Malmö

Immer wieder aber wird die ausgelassene Stimmung durch Sirenenlärm gestört: Polizeiautos und Ambulanzen rücken zu Notfällen aus, die auch mit der zunehmenden Gewalt im Drogenmilieu zu tun haben. Organisierte Banden in den Vorstädten der schwedischen Grossstädte kämpfen immer rücksichtsloser um die Vorherrschaft im lukrativen Handel mit verbotenen Substanzen.

Drogenpolitik der Nulltoleranz

Im Unterschied zu vielen anderen Staaten habe Schweden seine Drogenpolitik in den letzten Jahren weiter verschärft, sagt Björn Johnson, der an der Universität Malmö zum Thema lehrt. «In Schweden ist sogar der Eigenkonsum kleiner Mengen von Cannabis kriminalisiert. Das bindet enorme Ressourcen der Polizei», betont Johnson.

Die ganz auf Repression ausgerichtete Drogenpolitik hat nun gemeinsam mit sozial geteilten Vorstädten, in denen bis zu 90 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund aufweisen, dazu beigetragen, dass die Gewalt eskaliert.

Hochhäuser in der Ferne, Halteschild Farsta im Vordergrund.
Legende: Anfang der 1970er-Jahre gebaute Plattenbauten prägen das Bild der Stockholmer Vorstadt Farsta. Die Mehrheit der 45'000 hier lebenden Menschen hat einen Migrationshintergrund. srf/Bruno Kaufmann

Etwa zwanzig Minuten südlich des pittoresken Stockholmer Stadtzentrums liegt die Vorstadt Farsta. Gut 45'000 Menschen leben hier in den meist vor gut 50 Jahren – auf dem Höhepunkt des schwedischen Industriebooms – gebauten Hochhäusern und Plattenbauten.

Zwei Passanten erschossen

Gleich am Ausgang der U-Bahnstation tauchten letzte Woche am helllichten Tag zwei junge Männer mit Maschinenpistolen auf und schossen auf Passanten und Passantinnen – darunter auch eine sechzig Jahre alte Frau.

«Ich wollte eben mein Velo aufschliessen und wegfahren, als ich Schüsse hörte und plötzlich einen Schmerz im linken Knie verspürte», erzählt sie im Radio. Die Frau wurde aus einer Distanz von fast 80 Metern getroffen und überlebte.

Trauerflor und Foto des Opfers am Tatort.
Legende: Ein unbeteiligter 45-jähriger Fotograf sowie ein 15-jähriger Schüler wurden bei der Schiesserei getötet. Imago/Claudio Bresciani/TT

Ein 15 Jahre alter Schüler und ein 45-jähriger Fotograf, die den Schützen in die Quere kamen, verloren ihr Leben. Die Attentäter konnten nach einer Verfolgungsjagd verhaftet werden. Zum Motiv des Anschlages ist noch nichts bekannt. Vermutet wird eine Machtdemonstration eines Drogenkartells.

Es ist eine absurde Situation, wie wir sie früher nur vom Hörensagen kannten. Das muss ein Ende haben.
Autor: Ulf Kristersson Ministerpräsident Schwedens (konservative Partei)

Nun erinnern am Tatort Blumen, Fotos, Briefe und Kerzen an die Bluttat, die wegen ihrer Rücksichtslosigkeit auch die schwedische Politik wieder einmal auf die eskalierende Bandenkriminalität aufmerksam gemacht hat. So besucht an diesem Tag auch der konservative schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson den Tatort in Farsta.

Blumen auf einem Platz, Menschen.
Legende: Blumen am Tatort erinnern an die Bluttat. srf/Bruno Kaufmann

«Es ist eine absurde Situation, wie wir sie früher nur vom Hörensagen in fernen Ländern kannten», sagte er. «Das muss ein Ende haben.» Kristersson regiert das Land seit letztem Herbst mit Unterstützung der rechtsgerichteten Schwedendemokraten.

Ähnlich wie die sozialdemokratische Vorgängerregierung versucht Kristersson, mit harter Hand auf die zunehmende Gewalt zu reagieren: mit mehr Polizei, härteren Strafen und einer noch repressiveren Drogenpolitik.

In Europa hält Schweden gegenwärtig in zwei Bereichen den unrühmlichen Spitzenplatz: Nirgendwo sonst sterben beim Schusswaffeneinsatz so viele Menschen wie hier. Und nirgendwo sonst sterben so viele an einer Überdosis Drogen.

Eine rasche Lösung ist nicht in Sicht

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Eine Frau mit Kopftuch und ihren Kindern am Tatort in Farsta.
Legende: SRF/Bruno Kaufmann

Die Probleme in Schweden haben mit der dortigen politischen Kultur zu tun: Man einigt sich gern auf eine gewisse Regierungspolitik, die dann aber oft recht radikal ist. So hat man in den 1980er-Jahren von einer sehr liberalen auf eine sehr repressive Drogenpolitik umgestellt, in der Migrationspolitik wurde eine sehr auf Integration bedachte Politik von einer wenig integrationsfördernden Politik abgelöst. Mit diesem politischen System ist es schwierig, einen Mittelweg zu finden – und dafür erhält Schweden jetzt die Quittung.

Die Bevölkerung unterstützt zwar das repressive Vorgehen gegen Drogen und Kriminelle, doch es ist auch eine Hilflosigkeit zu spüren. Bei den letzten Wahlen kam eine rechtsbürgerliche Regierung an die Macht, die versprochen hatte, mit schnellen Massnahmen die Gewalt einzuschränken. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Gewalt hat in den letzten Wochen noch zugenommen. Schweden bräuchte langfristige Lösungen und eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Parteien, um die Probleme anzugehen. Doch das ist derzeit nicht abzusehen. (Bruno Kaufmann)

Echo der Zeit, 20.6.2023, 18:00 Uhr

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