Die Selbstbetrachtungen von Liz Truss sind eine schmerzhafte Lektüre. Da war beispielsweise der ständige Juckreiz. Boris Johnson hat in Downings Street offenbar nicht nur einen politischen Scherbenhaufen hinterlassen, sondern auch die Flöhe seines Hundes «Dylon». Während Tagen seien Kammerjäger damit beschäftigt gewesen, das Logis zu reinigen, schreibt Truss.
Zu schaffen machte der damaligen Premierministerin auch die übliche Einsamkeit, die ein solches Amt mit sich bringt. Sie sei ständig von Bodyguards, Beratern und Beamten umgeben gewesen. Doch als sie einmal Halsweh hatte, musste sie den Hustensirup selbst organisieren.
Das rasche Ende
Bei allem Selbstmitleid geht beinahe vergessen, dass Liz Truss in gerade mal 45 Tagen ihre Regierung zum Einsturz brachte und den Hut nehmen musste. Während ihrem Kurzaufenthalt in Downing Street hat sie die britische Wirtschaft fundamental erschüttert.
Trotz einer leeren Staatskasse verkündete sie grosszügig Steuersenkungen. In der Folge stiegen die Zinsen panikartig in die Höhe und Millionen von britischen Eigenheimbesitzern sahen sich mit massiv höheren Hypothekarzinsen konfrontiert.
Die Schuld der anderen
Noch heute ist Truss überzeugt, dass der Grund für ihr Scheitern nicht ihre ökonomische Kamikaze-Rezeptur war, sondern ein Verwaltungsapparat, der ihr feindlich gesinnt war. Beamtinnen und Beamte hätten jeweils missbilligend die Gesichter verzogen, wenn sie ihre Vorschläge gelesen hätten.
Die Schlussfolgerung, dass allenfalls ihre Ideen nicht so gut waren, ist ihr fremd. Die britische Tageszeitung «The Times» schreibt, dass die Biografie von Liz Truss jegliche kritische Selbstwahrnehmung vermissen lasse.
Schildkrötenartig zieht sich ihr Blick immer wieder in ihre eigene Wahrnehmungswelt zurück. Schuld sind alle anderen, nur nicht sie selbst. Es ist der Rückblick einer Politikerin, der Entschuldigung oder Schamgefühl eher fremd sind.
Die Tatsache, dass sie dieses Buch überhaupt geschrieben hat, könnte ein Hinweis sein, dass Truss ihre politische Karriere noch nicht als beendet betrachtet. Also kein Abschiedsgeschenk, sondern eher ein Hinweis, dass allenfalls neuer Ärger auf die konservative Partei zukommen könnte.
Einblicke in die Downing Street
Daneben ist die Autobiographie durchaus unterhaltsam geschrieben. Sie gibt einen spannenden Einblick in das Innenleben von Downing Street. Wer politische Provokationen liebt, wird reichlich bedient.
So möchte Liz Truss nicht nur aus der Europäischen Konvention für Menschenrechte austreten, sondern ebenso den obersten britischen Gerichtshof abschaffen. Damit würden aus ihrer Sicht die lästigen Einmischungen von Richterinnen und Richtern in die Politik endlich ein Ende nehmen.
Der letzte Ratschlag der Queen
Berührend ist die Beschreibung von ihrer Begegnung mit der Queen. Der Empfang der damaligen Premierministerin war die letzte öffentliche Amtshandlung der Königin. Zwei Tage später war sie tot.
Die Queen habe ihr den Rat gegeben, die Dinge langsam anzugehen. «Vielleicht hätte ich darauf hören sollen», schreibt Truss in einem seltenen Moment der Selbstreflexion. Vielleicht hätte sie auch auf ihren Mann hören sollen. Als sie sich entschloss, als Premierministerin zu kandidieren, soll er prophezeit haben, wie es enden würde: in Schmerz und Tränen.