Zum Inhalt springen

Buch «Macht im Umbruch» «Wir leben nicht mehr in einer regelbasierten Welt»

Die Welt ist im Wandel, Machtpolitik gewinnt wieder an Bedeutung. Was bedeuten diese Entwicklungen für Europa? Herfried Münkler geht in seinem aktuellen Buch «Macht im Umbruch» dieser Frage nach.

Herfried Münkler

Politologe

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Herfried Münkler ist einer der bekanntesten geopolitischen Denker Deutschlands und emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Bekannt wurde er durch seine Forschungen zu Machiavelli.

SRF News: Wie verändert sich aktuell unsere Welt?

Herfried Münkler: Wir kommen aus einer Zeit mit einer regelbasierten Ordnung. Aber damit ist es vorbei. Wir leben nicht mehr in einer regelbasierten, sondern in einer machtbasierten Ordnung. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass Völkerrecht gilt, dass internationale Institutionen von der UNO bis zur OSZE in der Lage sind, Konflikte zu handhaben.

Die USA haben die Rolle des Hüters gespielt. Doch das wurde ihnen zu aufwendig.

Alles kann tendenziell in Eskalationsspiralen hineingeraten, von denen keiner sagen kann, wo sie enden. Das ist eine grundlegend veränderte Situation.

Warum gehen Sie davon aus, dass die regelbasierte Ordnung gerade jetzt zu Ende ist – Verstösse dagegen gab es ja schon früher?

Ordnungen, die nach Regeln funktionieren, brauchen einen, der dafür sorgt, dass die Regeln eingehalten werden. Die Europäer und besonders die Deutschen haben sich gerne erzählt, das seien die Vereinten Nationen. Das war aber eine Selbsttäuschung, die Vereinten Nationen sind letzten Endes nicht handlungsfähig.

Vereinte Nationen, EU und deutsche Flaggen wehen vor Gebäude.
Legende: Die Zeiten der regelbasierten Ordnung und des Verlassens auf das Völkerrecht seien vorbei, sagt Politologe Herfried Münkler. Europa müsse sich stärken. IMAGO / Björn Trotzki

Insofern waren es die USA, die in der Phase nach 1989 die Rolle des Hüters gespielt haben. Doch das wurde ihnen zu aufwendig. Obama hat es bereits angedeutet, Trump hat es dann weitergetrieben mit der Äusserung «America first»: Wir sind nicht mehr der Hüter der Regeln, sondern wir betreiben eine an unseren Interessen orientierte, radikal-egoistische Politik.

Was bedeutet das für Europa?

Europa muss schnell ein handlungsfähiger und auch geschlossen auftretender Akteur werden, wenn es sich im Spiel mit den USA, Russland, China und Indien behaupten will. Dafür braucht es eine Hierarchisierung des Zentrums in Europa, mit der Achse Frankreich, Deutschland, Polen, Italien – dazu müssen die Briten wieder an die EU herangeführt werden. Die EU muss sich viel stärker hierarchisch aufbauen, mit mindestens zwei Typen der Mitgliedschaft.

Es ist eine Wette mit der Geschichte, ob die EU es schafft, ein Akteur zu werden, oder ob sie zerfällt.

Deutschland soll darin eine Führungsrolle übernehmen, sagen Sie in Ihrem Buch. Warum Deutschland?

Die EU braucht eine aktive Führung, die schnell agieren kann. Es stellt sich relativ schnell heraus, dass es ohne die Deutschen nicht geht. Die Franzosen, Italiener und Briten sind so verschuldet, dass sie im Prinzip nichts bewegen können. Man ist darauf angewiesen, dass die deutsche Bundesrepublik ihre restriktive Haltung in der Frage der Vergemeinschaftung von Schulden aufgibt. Das wird man in Deutschland nur durchsetzen können, wenn daraus auch bestimmte Anteile an Führung resultieren.

Und was, wenn die AfD noch stärker wird?

Das ist eine Wette mit der Geschichte, ob die Europäische Union es schafft, in dieser Situation tatsächlich ein Akteur zu werden, oder aber, ob sie zerfällt. Und wenn sie zerfällt, dann haben wir eine ausgesprochen unangenehme Situation in Europa. Dann ist Europa entweder der Fussabtreter der grossen Mächte oder – die noch schlimmere Variante – es werden alte Grenzkonflikte wieder auftauchen.

Europa wird mit sich selbst beschäftigt sein, im schlimmsten Fall in Gestalt von Kriegen. Das kann man nicht ausschliessen. Insofern muss man das, was ich als Szenario entwickelt habe, auch entschieden und entschlossen verteidigen und zeigen, was die Alternativen sind, vor denen wir stehen. Und wenn ich in diesem Fall «wir» sage, dann schliesst das letzten Endes die Schweiz mit ein.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Tagesgespräch, 27.5.2025, 13 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel