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Bürgerliche und Grüne zusammen Historische Koalition auf der grünen Insel

Geschrieben mit grüner Tinte und von drei Parteien abgesegnet: Die irische Regierung betritt gleich mehrfach Neuland.

Fine Gael – der Stamm der Gälen – und Fianna Fáil – die Rotte des Schicksals – sind trotz ihren rebellischen Namen Zentrumsparteien, die sich ideologisch nur mit Mühe auseinanderhalten lassen. Ihre Andersartigkeit und die daraus folgende, bisherige Unvereinbarkeit leiten sich aus der Geschichte ab. Vor 98 Jahren begannen ihre Vorgänger-Organisationen den irischen Bürgerkrieg, unmittelbar nach der blutigen Ablösung vom Vereinigten Königreich.

Bruch eines historischen Tabus

Seither sind alle irischen Regierungen entweder von Fianna Fáil (meist allein) oder von Fine Gael-Koalitionen gebildet worden. Das wird auch weiterhin so sein, aber die arithmetischen Zwänge des Wahlergebnisses vom letzten Februar, als beide Parteien Stimmen verloren, zwingen sie nun erstmals unter dasselbe Joch; sie werden sich im Premierministeramt ablösen.

Irland
Legende: Fianna-Fail-Chef Micheal Martin stellt sich den Medien. Er wird sich künftig mit Premier Leo Varadkar von Fine Gael im Amt des Regierungschefs ablösen. Mit im Boot der bürgerlichen Regierungskoalition sind die Grünen. Wahlgewinnerin Sinn Féin bleibt vorerst die Opposition. Keystone

Allein, selbst diese neuartige Kombination von gegensätzlichen Stammesloylitäten, die nach Ansicht der Gläubigen bis tief ins Mittelalter zurückreichen, hätte nicht für eine Mehrheit gereicht. Und so stossen die irischen Grünen dazu.

Ihre Prioritäten prägen das neue Regierungsprogramm. Zyniker könnten argwöhnen, dass dies nur natürlich sei, da die ehemaligen Staatsparteien kaum unverrückbare Überzeugungen haben.

Ehrgeizige grüne Ziele

So will Irland nun die Emission von Treibhausgasen jährlich um sieben Prozent senken. Das sorgt die irischen Bauern, deren Kühe naturgemäss kräftig zu diesen Gasen beitragen. Ferner wird die Suche nach Erdgas vor Irlands Küsten eingestellt, der Import von Schiefergas verboten.

Der unterentwickelte öffentliche Verkehr wird künftig zwei Drittel des Transportbudgets erhalten, der Strassenbau muss sich mit dem Rest begnügen. Schliesslich werden Fussgänger und Velofahrer mehr Geld erhalten. Und die menschenunwürdigen Auffanglager für Asylbewerber sollen neu vom Staat und nicht von Privaten betrieben werden.

Das alles ist mit grüner Tinte geschrieben; dennoch steht keineswegs fest, dass die grüne Basis in den nächsten Tagen ihre Einwilligung erteilt. Erforderlich wäre eine Zweidrittelsmehrheit.

Wahlgewinnerin Sinn Féin in der Opposition

Es gibt eine lachende Vierte in diesem Tableau: Sinn Féin. Die Partei, die einst eng mit der Irisch-Republikanischen Armee IRA verflochten war, gewann zwar im Februar knapp am meisten Stimmen.

Aber die anderen Grossen wollten nicht mit ihr verhandeln, für eine Mehrheit links von der Mitte fehlten die Sitze. Nun findet sich Sinn Féin in der Rolle der Oppositionsführerin und hofft auf weitere Zugewinne bei der nächsten Wahl.

Die Messlatte für die neue Regierung in weitgehend alten Schläuchen liegt also hoch. Wegen der Pandemie sind die Kassen wie überall leer; trotzdem muss die neue Mannschaft rasch greifbare Erfolge im Wohnungsbau, im öffentlichen Verkehr und im Gesundheitswesen vorweisen, ohne dabei den Gürtel erneut enger zu schnallen.

Echo der Zeit, 15.06.2020, 18:00 Uhr

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