Auf den ersten Blick wirkt die Verhandlung im Gerichtssaal Nr. 2 des Bezirksgerichts von Cabell County in Huntington, West Virginia, wie eine normale Verhandlung. Doch dann sagt der Richter zum Mann, der gerade vor ihm sitzt: «Das klingt gut, ich glaube, sie machen grosse Fortschritte!»
Die Anhörung ist Teil des Drogengerichts, einem Programm für straffällige Abhängige. Gegründet wurde es, um die Opioidkrise zu bekämpfen, die in den USA schon seit Jahren herrscht. Einer der Hotspots der Krise: Huntington, die Stadt, wo der « Club Spezial » haltmacht, um das Drogengericht zu besuchen. Alle zehn Stunden stirbt hier jemand an einer Überdosis. Das Drogengericht kämpft dagegen an – indem es Gefängnisstrafen durch Begleitung und Unterstützung ersetzt.
Einer der Teilnehmer des Programms ist Jordan Wiseman, er ist gerade in seiner dritten Woche am Drogengericht: «Ich gewöhne mich langsam ein», sagt er dem Richter während seiner Anhörung. «Am Anfang fand ich es recht schwierig.» Das Programm ist intensiv, neben den Anhörungen gehören dazu Gespräche mit Bewährungshelfern und Therapeuten. Um den Überblick über seinen Tagesablauf zu behalten, hat Jordan Wiseman einen grossen, weissen Ordner vor sich. Darin sind Busfahrpläne und Therapietermine notiert, auf dem Deckel des Ordners ist ein Papier befestigt, auf dem steht: «Vergiss mich nicht, Bruder!».
Ein Jahr Drogengericht statt 15 Jahre Gefängnis
Für die Abhängigen ist das Drogengericht attraktiv: Oft ist es die Alternative zu einem Gerichtsverfahren und einer langen Gefängnisstrafe. Auch bei Jordan Wiseman war das so, er hätte möglicherweise bis zu 15 Jahre im Gefängnis sitzen müssen, anstatt ein Jahr am Drogengericht teilzunehmen.
Trotzdem sind Wisemans Chancen, nicht wieder kriminell zu werden, markant grösser im Programm des Drogengerichts: Die Teilnehmenden sind 50 Prozent weniger stark gefährdet, wieder kriminell zu werden als Verurteilte in herkömmlichen Verfahren. Doch die Chance auf einen Platz am Drogengericht bekommen nur wenige: «Das Programm ist sehr ressourcenintensiv, weil wir die Leute, die teilnehmen, so oft sehen», sagt Richter Howard. «Ich habe gesamthaft 800 Fälle, wären alle so intensiv, wie jene vom Drogengericht, das wäre unmöglich zu schaffen.»
«Ich bin stolz auf Sie»
In Cabell County gibt es momentan 35 Plätze für Abhängige. Für Jordan Wiseman läuft das Programm bisher gut: «Ich fühle mich wohl, ich kann Essen tatsächlich schmecken. Wenn ich aufwache, fühle ich mich energiegeladen, nicht mehr so elend», sagt er bei seiner wöchentlichen Anhörung.
Richter Howard entgegnet: «Das ist ein grosser Schritt. Ich bin stolz auf Sie.» Und auch daran merkt man, dass die Verhandlung im Gerichtssaal Nr. 2 in Cabell County, West Virginia, keine normale Gerichtsverhandlung ist.