In Madagaskar hat das Militär die Machtübernahme verkündet.
Dies nach Protesten und einem Amtsenthebungsverfahren gegen den geflohenen Präsidenten Andry Rajoelina.
Ein Präsidentschaftsrat aus Angehörigen der Armee und Gendarmerie ist laut Militär eingesetzt worden.
Die Verfassung sei ausgesetzt, verkündete ein Offizier der Spezialeinheit Capsat vor dem Präsidentenpalast in der Hauptstadt Antananarivo.
Legende:
Der Kommandant der Militäreinheit Capsat, Oberst Michael Randrianirina (Mitte rechts), verliest auf den Stufen des Präsidentenpalasts in Antananarivo eine Erklärung, wonach die Streitkräfte die Kontrolle über das Land übernehmen.
Keystone / BRIAN INGANGA
Zuvor hatte das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Rajoelina eingeleitet.
Neue politische Struktur angekündigt
Die Einheit des Militärs hatte schon am Wochenende erklärt, sie habe die Kontrolle über die Land-, Luft- und Seestreitkräfte des Inselstaates vor der südöstlichen Küste Afrikas übernommen.
Legende:
Zukunftsängste, Ungerechtigkeit und Unsicherheiten trieben die junge Bevölkerung des Inselstaates auf die Strassen.
Reuters / Siphiwe Sibeko
Zahlreiche Soldaten schlossen sich den seit Wochen demonstrierenden jungen Menschen an. Das Präsidentenbüro hatte am Wochenende von einem Putschversuch gesprochen.
Die zivile Regierung bleibe in ihrer derzeitigen Zusammensetzung bestehen, hiess es weiter. Ein Oberster Gerichtshof für Reformen werde eingerichtet. Innerhalb von zwei Jahren soll ein Referendum abgehalten werden. «Wir werden einen Premierminister ernennen, der rasch eine Zivilregierung bilden wird», hiess es.
Zweifel über Legalität der Parlamentsauflösung
Rajoelina hat auf seinem X-Profil die Auflösung der Nationalversammlung des Inselstaates per Dekret erklärt. Dies sei zur Wiederherstellung der Ordnung im Inselstaat und zur Stärkung der Demokratie nötig, schrieb er. Der stellvertretende Parlamentspräsident Siteny Randrianasoloniaiko zweifelte die Legalität der Parlamentsauflösung an.
Wo sich Rajoelina derzeit aufhält, ist unbekannt. Er hatte in einer live übertragenen Videoansprache angegeben, er habe sich an einen sicheren Ort begeben müssen, um sein Leben zu schützen. Zu einem möglichen Rücktritt äusserte Rajoelina sich nicht. Stattdessen appellierte er an die Bevölkerung seines Landes, die bestehende Ordnung zu achten.
Die militärische Eliteeinheit Capsat
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Capsat ist eine Elite-Militäreinheit des madagassischen Staats. Nun hat sie sich auf die Seite der Demonstrierenden gestellt. Der Anschluss der Einheit an die Demonstrierenden ist ein Wendepunkt. Schon 2009 verhalf Capsat dem heutigen Präsidenten Rajoelina durch einen Militärputsch an die Macht.
Die Militäreinheit scheint eine Autoritätsposition einzunehmen und ernannte am Sonntag einen General zum neuen Chef der madagassischen Streitkräfte, was vom Verteidigungsminister akzeptiert wurde.
Ein Kommandant der Capsat, Oberst Michael Randrianirina, sagte, seine Soldaten hätten sich ein Feuergefecht mit Sicherheitskräften geliefert, die versucht hätten, die Proteste am Wochenende niederzuschlagen. Dabei sei ein Soldat getötet worden. Zudem rief die Einheit andere Sicherheitsbeamte zur Befehlsverweigerung auf.
Dass sich die Einheit auf die Seite der Demonstranten gestellt hat, hat ihnen in Madagaskar grosses Ansehen unter der Bevölkerung eingebracht.
Einem Bericht des französischen Rundfunksenders RFI zufolge war Rajoelina bereits am Sonntag von einer französischen Militärmaschine ausgeflogen worden. Rajoelina hatte 2014 die französische Staatsbürgerschaft erhalten.
Die Auslöser der Proteste
Seit Ende September fordern vor allem junge Menschen mit teils gewalttätigen Demonstrationen den Rücktritt Rajoelinas. Hintergrund sind hohe Lebenshaltungskosten und mangelnde Perspektiven für die junge Generation. Auslöser der Aufstände waren Strom- und Wasserausfälle, Missstände im Bildungssystem sowie hohe Arbeitslosigkeit und weit verbreitete Armut.
Was hat der Hoffnungsträger falsch gemacht?
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Einschätzung von SRF-Afrika-Korrespondentin Sarah Fluck:
Präsident Andry Rajoelina trat 2009 sein Amt als Hoffnungsträger an und inszenierte sich als Reformer. Stattdessen wurde er Teil des alten Systems – korrupt, elitär und ohne echten Bezug zu den Menschen. Er hat letztlich keine Veränderung gebracht.
Ein gutes Beispiel ist ein kürzlich eröffnetes Prestigeprojekt. Eine Seilbahn für die Hauptstadt, die sich kaum jemand leisten kann und die wegen der ständigen Stromausfälle meist stillsteht. Sie ist für viele ein Symbol der abgehobenen Politik des Präsidenten geworden. Mehrere Gondeln wurden in den jüngsten Demonstrationen angezündet.
Jetzt hängt alles davon ab, wie das Militär seine neue Macht nutzt. Es spricht zwar von einem zivilen Übergang, hat aber fast alle Verfassungsorgane suspendiert – das weckt Zweifel. Die Geschichte zeigt, dass solche Machtübernahmen in Madagaskar meist in jahrelanger politischer Lähmung enden.
Längerfristig wäre Stabilität wohl nur mit einem breit abgestützten Dialog zu erreichen. Vor allem aber müssten die Menschen endlich spürbare Verbesserungen sehen, sonst könnte diese politische Krise in eine Gewaltspirale münden.