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Chaostage in Rom Bühne frei für das nächste Politdrama in Italien

Der Technokrat weicht, die Populisten wittern Morgenluft: Warum Italien von einer Regierungskrise in die nächste taumelt.

Donnerstagmorgen, kurz nach 9 Uhr im italienischen Abgeordnetenhaus. Premierminister Mario Draghi wird mit langem Applaus empfangen. Doch die Rede des kühlen Ex-Bankers dauert nur eine Minute:

Er werde jetzt dem Staatspräsidenten Sergio Mattarella seine Absichten mitteilen. Inzwischen ist Draghi zurückgetreten, Italiens Staatschef Mattarella hat den Rücktritt dieses Mal angenommen.

Die Geschichte wiederholt sich

Fassungslos schaut Europa auf die Entwicklung im italienischen Parlament, das die Regierung stürzt, obwohl so viele Gemeinden, Regionen und Städte sich für die Regierung unter Draghi gestellt haben.

Die kleine Kammer des italienischen Parlaments
Legende: Italien rutscht einmal mehr ins politische Chaos. Im Schnitt hielt eine Regierung in Rom seit der Jahrtausendwende gerade mal zwei Jahre. Keystone

Was läuft falsch in «Bella Italia»? Antworten darauf hat Ulrich Ladurner. Der Journalist ist im Südtirol geboren und schreibt unter anderem für «Die Zeit». In seinem Buch «Der Fall Italien. Wenn Gefühle die Politik beherrschen» hat er die italienische Demokratie ausgeleuchtet.

Ladurners Verdikt: «Ein bisschen Drama gehört in Italien in der Politik dazu.» Aber diesmal seien die Parteien zu weit gegangen. «Das politische Theater muss jetzt aufhören!» Die Verantwortung dafür, warum das Land von einer Regierungskrise in die nächste schlittert, ortet er bei den Parteien. «Sie sind unfähig, über längere Zeit das nationale Interesse im Auge zu behalten.»

Wir erleben derzeit die schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa.
Autor: Ulrich Ladurner Journalist und Autor

Der Sturz der Regierung Draghi gibt ein Muster davon. In seiner letzten Rede rief er die Parteien auf, ihre eigenen Interessen hinter diejenigen des Landes zu stellen. Sein Appell verhallte im Parlament – und endete in einer Demütigung.

Salvini mit Lega-Politikern im Parlament
Legende: Die Koalitionspartner von rechts, die Lega von Matteo Salvini (Bildmitte) und die Forza Italia von Silvio Berlusconi, verliessen den Saal während der Vertrauensabstimmung. Die Parlamentarier der Cinque Stelle, welche die Regierungskrise ausgelöst hatten, blieben zwar sitzen, enthielten sich aber. Keystone

Naturgemäss haben Parteien unterschiedliche Vorstellungen, wie sie ein Land gestalten wollen. Und die eigene politische Agenda ist im besten Interesse des Landes.

Diesen Wettbewerb der Ideen findet Ladurner in einer Demokratie zwar zentral. «Doch diese Krise hat etwas Surreales. Es ist auch schwierig, sie in allen Windungen zu verfolgen. Irgendwo ist die Sache verrückt und auch nicht leicht auszuhalten.»

Politische Krise zur Unzeit

Der intime Kenner der italienischen Politik findet: Angesichts der gewaltigen Herausforderungen, vor denen Italien und Europa stehen, hätte es den Parteien gut zu Gesicht gestanden, einen Schritt zurückzutreten. «Sie hätten sagen können: ‹Wir haben eine Regierung der nationalen Einheit und werden daran bis zum Ende der Legislaturperiode im April 2023 festhalten›.»

Dies hätte Draghi Zeit für wichtige Reformen und den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes gegeben. «Draghi hat auch sehr gute Arbeit geleistet und hätte es verdient, die Legislatur zu Ende zu bringen», sagt Ladurner.

Blick in die grosse Kammer des italienischen Parlaments
Legende: Mangel an Weitsicht: Ladurner wirft den zersplitterten italienischen Parteien vor, allzu oft im Interesse der eigenen Karrieren und Klientel statt im Interesse des Landes zu handeln. Und dafür auch politischen Stillstand in Kauf zu nehmen. Keystone

An Arbeit hätte es nicht gemangelt: Die Folgen der Pandemie sind gerade bei unserem südlichen Nachbarn schwerwiegend. Krieg, Inflation, Verschuldung und Energie- und Klimakrise bedrohen die drittgrösste Volkswirtschaft der EU.

Gefährliche Gemengelage

Der italienische Journalist relativiert zwar: Unterhalb der Regierungsebene habe es in Italien über die Jahrzehnte durchaus politische Stabilität gegeben. Und verloren sei das Land auch jetzt nicht. «Diese Regierungskrise ist aber gefährlicher als andere vor ihr.»

Denn das politische System sei derzeit nicht in der Lage, die Ergebnisse zu produzieren, um diese Krisen zu bewältigen. «Wir erleben die schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa», schliesst Ladurner. «Da würde ich erwarten, dass die Parteien ihre Kurzsichtigkeit ablegen.»

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SRF 4 News, 21.07.2022, 17:15 Uhr ; 

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