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Charlie Hebdo nach dem Terror «Karikaturen zeichnen ist die beste Therapie»

Vor fünf Jahren stürmten Terroristen die Redaktion des Satiremagazins. Ein Treffen mit Chefredaktor Laurent Sourisseau.

Laurent Sourisseau – kurz Riss – ist mehr für bissige Karikaturen bekannt als für eloquente Reden. «Doch beruflich geht es heute gut», sagt er knapp, es gebe viel zu tun. Und privat gehe es ihm wie anderen Opfern von Anschlägen auch. Er habe gelernt, mit den Folgen des Attentats zu leben und sich im Alltag zurechtzufinden.

Dies war nicht einfach. Riss hat darüber auch ein Buch geschrieben. «Eine Minute 49 Sekunden» heisst es. So lange dauerte der Anschlag. Im Buch nimmt er nicht viel Raum ein. Riss sieht die Augen der maskierten Attentäter, lässt sich reflexartig unter den Tisch fallen. Dort zählt er jede Sekunde einzeln.

Ein Leben in 109 Sekunden

Sekunde 1: «Sie treten ein.» Sekunde 2: «Ich lebe noch». Sekunde 3: «Ich lebe noch.» Riss zählt durch bis Sekunde 109. «Sie verlassen den Raum. Ich lebe noch. Ich bin nicht tot.» Das Wort «Anschlag» lehnt Riss in diesem Zusammenhang ab. Seine Stimme wird emotionaler. «Dies war kein blinder Anschlag», sagt er. «Es war eine Hinrichtung. Da wurden bewusst Leute getötet, um ihre Stimmen zum Verstummen zu bringen.»

Riss hat überlebt. Sein Buch ist Trauerarbeit für die toten Freunde aus der Redaktion von «Charlie Hebdo». Mit ihnen hatte er jahrelang zusammen gearbeitet. Ein Verlust für ihn persönlich, aber auch für die französische Satire-Szene: Sie verlor am 7. Januar 2015 eine Reihe ihrer prominentesten Vertreter.

Wie soll man Satire machen, wenn dies praktisch niemand mehr kann?
Autor: Laurent Sourisseau Chefredaktor von Charlie Hebdo

«Ich bin Charlie» – die Solidaritätswelle war unmittelbar nach dem Anschlag überwältigend. Die verkaufte Auflage der ersten Ausgaben nach dem Mordanschlag erreichte mehrere Millionen. Seither fiel sie wieder auf rund 60'000 verkaufte Exemplare zurück, wie vor dem Anschlag.

«Je suis Charlie»
Legende: Nach dem Anschlag gab es in Frankreich grosse Solidaritätskundgebungen für die Karikaturisten des Satire-Magazins. Keystone

Dies habe auch mit internen Problemen zu tun, gibt Chefredaktor Riss zu. Der Aufbau der neuen Redaktion war schwierig: «Wie soll man Satire machen, wenn dies praktisch niemand mehr kann?», fragt er rhetorisch.

Frankreichs Kampf gegen den Terror

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Fünf Jahre ist es her, dass in der Redaktion von «Charlie Hebdo» das Unfassbare geschieht. Am 7. Januar 2015 dringen die Brüder Chérif und Said Kouachi in die Redaktion des Satiremagazins ein und eröffnen das Feuer. Es beginnt eine drei Tage währende Grossfahndung – inklusive Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt. Insgesamt sterben 17 Menschen, auch die insgesamt drei beteiligten islamistischen Täter werden erschossen.

Der Anschlag steht symbolisch für den Auftakt einer islamistischen Terrorserie in Frankreich – mit seither mehr als 250 Toten. Der Angriff auf «Charlie Hebdo» war aber nicht die erste tödliche Attacke in den 2010ern Jahren im Land: Im März 2012 ermordete ein Attentäter über mehrere Tage drei Soldaten sowie einen Lehrer und drei Kinder einer jüdischen Schule in Südfrankreich.

Doch nach dem mörderischen Angriff auf das Satiremagazin und den Supermarkt folgten die Attacken in hoher Schlagzahl: Paris, November 2015: 130 Tote. Nizza, Juli 2016: 86 Tote. Strassburger Weihnachtsmarkt, Dezember 2018: 5 Tote. Pariser Polizeihauptquartier, Oktober 2019: 4 Tote.

Mehrere Dutzend Attentate wurden ausserdem vereitelt. Bei dem Anschlag auf «Charlie Hebdo» töteten die Kouachi-Brüder damals mehrere bekannte Zeichner des Blattes. Die Redaktion wurde wegen ihrer Mohammed-Karikaturen Ziel der Attentäter. Auf die Redaktionsräume war einige Jahre zuvor bereits ein Brandanschlag verübt worden. (dpa)

Doch nach fünf Jahren seien die grössten Probleme überwunden. «Charlie Hebdo» könne überleben, sagt Chefredaktor und Mehrheitsaktionär Riss. Auch wenn die Zeitschrift im Moment noch in den roten Zahlen sei: «Die Produktion ist teurer geworden – auch durch die Sicherheitsmassnahmen, mit denen die Redaktion geschützt wird.»

Das Interview mit Riss findet nicht auf der Redaktion statt, sondern in einer Medienagentur. Im Vorraum sitzt der Leibwächter, der den Karikaturisten auf Schritt und Tritt begleitet, sobald er seine Wohnung verlässt. Seit dem Anschlag hat sich auch das private Leben sehr verändert: «Etwas so Gewöhnliches wie mit der Metro fahren, kann ich heute nicht mehr», sagt Riss.

Laurent Sourisseau 2012
Legende: Riss mit einer «Charlie Hebdo»-Ausgabe von 2012: Die Karikatur in Anspielung auf den Kino-Hit «Intouchables» (dt.: «Die Unberührbaren», deutscher Filmtitel: «Ziemlich beste Freunde») warf die Frage auf, was Satire darf – und nach Meinung gewisser Kreise nicht. imago images

Dabei suchten er und die Equipe von «Charlie Hebdo» eigentlich die Normalität von früher; sie wollten machen, was sie am besten könnten: «Karikaturen zeichnen, im Wochenrhythmus. Dies ist anstrengend, aber die beste Therapie.»

Eine gefährliche Therapie: Nicht nur für die Redaktion von «Charlie Hebdo». Auch andere Karikaturisten französischer Medien bewegen sich heute in der Öffentlichkeit nur noch mit Begleitschutz, weil sie als besonders gefährdet gelten.

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