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Corona in den USA Wird Thanksgiving zum nationalen «Superspreader»-Event?

Heute treffen sich Millionen US-Familien trotz der Pandemie zum Festessen. Behörden und Epidemiologen warnen.

«Ich lasse mich durch nichts davon abhalten, meine Familie zu sehen», sagt Jesse Lewis am Flughafen von Washington, D.C. Er ist auf dem Weg zum Thanksgiving-Fest seiner Angehörigen, den Warnungen der Experten zum Trotz. Millionen Menschen tun es ihm gleich.

Die US-Gesundheitsbehörde rät von solchen Reisen ab. Die Fallzahlen im Land wachsen seit Wochen exponentiell an. Bereits sind in den USA rund eine Viertelmillion Menschen am Coronavirus verstorben, jeden Tag kommen derzeit rund 2000 hinzu. Viele Spitäler sind an ihre Kapazitätsgrenzen gestossen.

Emotionale Tradition

Thanksgiving ist in den USA – mehr noch als Weihnachten – das Fest, das die ganze Familie über alle Generationen hinweg zusammenbringt. Mütter, Väter, Kinder, Grosseltern, manchmal auch Nachbarn und Freunde. Niemand will allein sein an diesem Tag.

Wer einmal Thanksgiving in den USA erlebt hat, kennt die emotionale Kraft dieses Festes. An vielen Orten herrscht eine herzliche Stimmung. Amerikanische Familien leben oft über das ganze Land verteilt. Aber für Thanksgiving reisen sie aus allen Richtungen an, das ist schon fast Pflicht.

Was steckt hinter der Thanksgiving-Tradition?

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Das erste Thanksgiving-Fest soll der Legende nach im Herbst 1621 im heutigen Bundesstaat Massachusetts stattgefunden haben. Pilgerväter aus Europa feierten gemeinsam mit Angehörigen eines indigenen Stammes die erfolgreiche Ernte auf ihrer Plantage in Plymouth – ein mehrtägiger Akt der Annäherung und der Danksagung. Schon damals wurde am Fest Geflügel gegessen. Ob es wie heute Truthähne waren, ist Historikern zufolge aber nicht gesichert.

Die Harmonie zwischen den Neuankömmlingen aus Europa und den Native Americans währte freilich nicht lange. Für die Ureinwohner folgten Jahrzehnte der Vertreibung und Ausrottung. Und viele Stammesangehörige fielen Krankheiten zum Opfer, welche die Siedler aus Europa eingeschleppt hatten.

Das erste offizielle Thanksgiving fand – beglaubigt durch den Kontinentalkongress – anno 1777 statt. Im Jahr 1863 machte Präsident Lincoln Thanksgiving per Proklamation zum nationalen Feiertag. Mit diesem Schritt wollte er während des amerikanischen Bürgerkriegs das heillos zerstrittene Land einen. In dieser Zeit entstand auch die Tradition, zu diesem Anlass einen Truthahn zu verspeisen. 1941 beschloss der Kongress, dass das Fest jeweils am vierten Donnerstag im November stattfinden soll.

Und das Essen: Wie man den Truthahn-Braten, die Füllung und die Beilagen am besten hinbekommt, wird im Vorfeld mit geradezu religiösem Eifer diskutiert. Den ganzen Feiertag über wird gegessen. Man plaudert darüber, wofür man im laufenden Jahr dankbar ist – oder streitet über Donald Trump. Wer nicht mehr reden will, schaut sich am Fernsehen das Football-Spiel an.

Fest im Freien

Die Behörden hatten in den letzten Tagen und Wochen die undankbare Aufgabe, den Menschen von diesem traditionsreichen Familientreffen abzuraten. Der amerikanische «Mr. Corona», Anthony Fauci, warnte noch am Vortag ein letztes Mal: Zusammenkünfte in Innenräumen müssten so klein gehalten werden wie möglich.

Ich weiss, wie hart es ist, auf die Familientradition zu verzichten, aber es ist unglaublich wichtig.
Autor: Joe Biden Gewählter US-Präsident

Wer nicht verzichten will, solle das Fest wenn möglich trotz Herbstwetter in den Garten verlegen, empfehlen Epidemiologen. Nur Menschen aus dem gleichen Haushalt sollten nahe beieinander sitzen. Sorgen bereiten den Experten vor allem die Studenten, die von Unis im ganzen Land anreisen. Junge Menschen ohne Symptome könnten ihre älteren Verwandten unwissentlich anstecken.

Auch Biden warnt

Von Noch-Präsident Donald Trump erhalten die Experten wenig Unterstützung. Er begnügt sich weitgehend damit, der Tradition folgend einen glücklichen Truthahn feierlich vor dem Schicksal als Festschmaus zu bewahren.

Donald Trump begnadigt einen Truthahn.
Legende: Truthahn «Corn» (Mais) hat Glück. Zusammen mit «Cob» (Kolben) wird er künftig an der Universität von Iowa leben. Keystone

Anders Joe Biden. Am Mittwoch rief er die Menschen im Land zu äusserster Vorsicht auf. Auch er und seine Frau Jill würden dieses Jahr auf das sonst übliche grosse Familienfest verzichten und im kleinen Kreis zu Hause feiern, nur mit der Tochter und dem Schwiegersohn. «Ich weiss, wie hart es ist, auf die Familientradition zu verzichten, aber es ist unglaublich wichtig», betonte Biden.

Folgen in zwei Wochen

Die Aufrufe zeigen durchaus Wirkung. Laut den Behörden liegen die Reisebewegungen der letzten Tage hinter jenen des Vorjahres zurück. Aber in einer Umfrage von Axios/Ipsos gaben fast 40 Prozent der Menschen an, ihre Thanksgiving-Pläne trotz der Pandemie nicht ändern zu wollen.

Wie stark sich die vielen Familienfeste auf den Verlauf der Pandemie auswirken, wird man den Experten zufolge in zwei bis drei Wochen wissen. Auch für den Rest der Welt könnte dies wichtige Erkenntnisse liefern. So wird Thanksgiving zu einem makaberen Testlauf für das Weihnachtsfest.

SRF 4 News, 26.11.2010, 5 Uhr

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