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Feierlust vergangen – 100 Tage nach dem «Freedom Day» in England
Aus SRF 4 News aktuell vom 21.10.2021. Bild: Keystone
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Corona-Lage in England 100 Tage nach dem «Freedom Day» herrscht Katerstimmung

Die Briten waren Europameister beim Impfen. Nun verschärft sich die Lage. Droht ein jähes Ende der grossen Freiheit?

100 Tage nach dem «Freedom Day» hat Grossbritannien eine der höchsten Infektionsraten weltweit. Auch die Zahl der Krankenhaus- und Todesfälle steigt wieder. Womöglich wird den Briten ihr Impfwunder nun teilweise zum Verhängnis, weil die Wirkung bei vielen bereits nachlässt.

«Noch im Frühling waren die Briten Europameister beim Impfen. Wenn man so will, rächt sich das jetzt», berichtet SRF-Korrespondentin Henriette Engbersen. Gleichzeitig kommt die Kampagne für die Booster-Impfung nur schleppend voran. Nur ein Drittel der über 80-Jährigen hat bereits eine dritte Impfdosis bekommen.

Besorgniserregende Entwicklung

Den 19. Juli feierte der britische Premierminister Boris Johnson als «Freedom Day», mit ihm endeten fast alle gesetzlichen Corona-Restriktionen in England. Maskentragen im ÖV ist zwar weiterhin Pflicht. Mit der Disziplin hapert es aber gewaltig. Und anders als in der Schweiz gibt es in Restaurants und Cafés keine Zertifikatspflicht.

Boris Johnson
Legende: «Vorsichtig, aber unumkehrbar» – so hatte der britische Premierminister Boris Johnson die schrittweise Aufhebung der Corona-Massnahmen in England angekündigt. Keystone/Archiv

Kritiker bringen die steigenden Zahlen mit mangelhaften Kontrollen bei der Maskenpflicht und der fehlenden Zertifikatspflicht in England in Verbindung. Dagegen spreche allerdings der Fall Schottlands, sagt Engbersen. Denn Gesundheit ist im Vereinigten Königreich Sache der einzelnen Landesteile – und in Schottland herrscht ein viel strengeres Corona-Regime samt Zertifikatspflicht. «Die Zahlen steigen dort aber etwa in gleichem Ausmass wie in England.»

Britische Ernüchterung nach dem «Freedom Day»

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Grossbritannien hat inzwischen eine der höchsten Infektionsraten weltweit. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag bereits Mitte Oktober bei etwa 450, Tendenz steigend. Zuletzt kletterte die Zahl der registrierten Neuinfektionen auf beinahe 50’000. Die Zahl der täglichen Krankenhauseinweisungen liegt bei fast 1000. Am Dienstag erreichte die Zahl der gemeldeten Corona-Toten mit 223 einen Stand wie zuletzt im März. Eine neue, womöglich geringfügig ansteckendere Variante des Virus in Grossbritannien, gilt hingegen bislang als wenig besorgniserregend.

Experten und Mediziner warnen inzwischen davor, dass der Abbau des während der Pandemie entstandenen Rückstaus an Krankenhausbehandlungen in Gefahr gebracht werden könnte. «Wir sind am Limit, und es ist Mitte Oktober. Es würde unglaublich viel Glück brauchen, damit wir uns in drei Monaten nicht in einer schweren Krise wiederfinden», sagte der Geschäftsführer des Verbands der Trägerorganisationen des Nationalen Gesundheitsdiensts NHS, Matthew Taylor, dem «Guardian». Der Ärzteverband BMA (British Medical Association) bezichtigte die Regierung, sogar «bewusst fahrlässig» zu handeln.
(sda)

Am Mittwoch appellierte die Regierung an die Bevölkerung, sich erneut impfen zu lassen. «Der Winter kommt, lassen Sie sich ein drittes Mal impfen, um sich und Ihre Liebsten zu schützen», twitterte Premier Johnson. Insbesondere über 50-Jährigen wird eine Booster-Impfung dringend empfohlen.

Für Engbersen bleibt aber fraglich, ob ein blosser Appell ausreicht. Im Frühjahr wurde die Impfkampagne mit einer gewaltigen nationalen Anstrengung vorangetrieben – über eine halbe Million Impfdosen wurden damals täglich verabreicht. Die Impfzentren liefen auf Hochbetrieb.

«All diese Impfzentren fehlen im Moment, und so kommt man nur auf ein Drittel der Impfungen pro Tag wie im Frühling», sagt die Korrespondentin. «Und je länger diese Durchimpfung dauert, umso besser kann sich das Virus verbreiten.»

Falls sich die Situation nicht verbessert, behält sich die Regierung in London zwar vor, die Schraube wieder anzuziehen. Doch sie will ihr Versprechen von der grossen Freiheit nicht vorschnell zurücknehmen. Noch sei es nicht an der Zeit für Plan B, sagte Gesundheitsminister Sajid Javid bei einer Medienkonferenz am Mittwoch.

«Die Regierung behält Pläne, die Massnahmen wieder zu verschärfen, in der Hinterhand. Sie warnt die Bevölkerung damit quasi: Wenn ihr euch nicht verantwortungsvoll verhaltet, müssen wir zu anderen Massnahmen greifen», so Engbersen.

Hier herrschte eines der strengsten Lockdown-Regime im vergangenen Winter. Die Bevölkerung hat das grösstenteils ohne Murren mitgemacht.
Autor: Henriette Engbersen SRF-Korrespondentin in Grossbritannien

Heisst: Die ungeliebte Maskenpflicht in Innenräumen könnte ein Comeback feiern, und auch die Einführung der Zertifikatspflicht ist eine Option. Die zögerliche Haltung der Regierung erklärt die Korrespondentin auch mit politischem Kalkül: «Sie möchte erstmal die Klimakonferenz in Glasgow möglichst glanzvoll und regelfrei über die Bühne bringen, bevor die Regeln verschärft werden.»

Für Engbersen ist es aber eine Frage der Zeit, bis die Massnahmen auch in England wieder verschärft werden. Sollte es so kommen, könnte sich die sprichwörtliche britische Gelassenheit auszahlen. «Hier herrschte eines der strengsten Lockdown-Regime im vergangenen Winter. Die Bevölkerung hat das grösstenteils ohne Murren mitgemacht.»

SRF 4 News, 21.10.2021, 17:15 Uhr;

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