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Dammbruch in Laos «Normalerweise sucht man einen Schuldigen»

Die Bergungs- und Aufräumarbeiten in Laos gehen weiter, nachdem der Staudamm eines neuen Wasserkraftwerks gebrochen ist. Nachrichten treffen nur spärlich ein. Manfred Rist ist Südostasien-Korrespondent der NZZ und hat Laos vor kurzem besucht. Er glaubt nicht, dass sich das Land durch die Katastrophe davon, die Batterie Asiens sein zu wollen, abbringen lässt.

Manfred Rist

NZZ-Korrespondent

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Rist studierte Wirtschaft und arbeitete anschliessend bei einem Marktforschungs-Unternehmen, bevor er als Journalist tätig wurde. Ab 1990 war er Korrespondent der «NZZ» in Brüssel, danach Korrespondent in Singapur und Frankreich. Er berichtet auch von den Philippinen.

SRF News: Es herrscht derzeit Monsun in Laos, es regnet stark. Welchen Einfluss hat das auf die Bergungs- und Evakuierungsarbeiten?

Manfred Rist: Das macht Hilfsaktionen natürlich enorm schwierig. Es ist schon kompliziert genug, denn das Gebiet im Südosten von Laos, in dem sich das Unglück ereignet hat, ist sehr abgelegen. Es besteht kaum Infrastruktur, und es handelt sich um ein hügeliges Dschungelgebiet. Das heisst, für die Rettungskräfte ist es enorm schwierig, sofortige Hilfe anzubieten – zumal das ganze Gebiet überschwemmt ist, wie man auf Bildern sehen kann.

Berichten zufolge soll der Staudamm aufgrund starker Regenfälle gebrochen sein. Laos ist aber starke Regenfälle während des Monsuns gewöhnt. Wie kann es passieren, dass ein Damm deswegen bricht?

Es ist das erste Mal, dass so etwas in Laos, wo es Hunderte von Dämmen gibt, vorgekommen ist. Für das ganze Mekong-Einzugsgebiet ist es das erste Mal. Regen, Monsun und tropisches Klima – das gehört zu dieser Gegend. Sämtliche anderen Staudämme haben bisher gehalten. Hier ist offenbar etwas nicht sorgfältig geplant oder ausgeführt worden. Das ist ein Einzelfall, der aber zu denken gibt. Man wird nun alles daran setzen, den Ursachen nachzugehen.

Eine am Bau des Staudamms beteiligte Firma meldete, man habe schon vor dem eigentlichen Bruch festgestellt, dass der Damm nicht sicher sei. Warum konnte man die Katastrophe dennoch nicht verhindern?

Der Damm war noch nicht ganz fertiggestellt, das Kraftwerk noch nicht in Betrieb genommen worden, und gemäss den Berichten hat man gegen Montagmittag Risse festgestellt. Aufgrund dieses Alarms hat man dann mit der Evakuierung gewisser Dörfer begonnen. Die Risse konnten aber nicht behoben werden. Die Zeit drängte, und als Grund dafür wurden auch die starken Regenfälle angegeben. Das ist insofern plausibel, als man solche Risse in Staumauern nicht einfach innerhalb von wenigen Stunden ausbügeln kann.

Hier ist offenbar etwas nicht sorgfältig geplant oder ausgeführt worden.

Der Druck innerhalb des Stausees war einfach zu gross, um das Unglück zu verhindern. Man hat versucht, Wasser abzulassen, aber es hat nicht gereicht. Und einige Stunden später ist der ganze Damm gebrochen.

Sie sagen, man habe schon vor dem Bruch mit der Evakuierung begonnen. Das heisst, es hätte alles noch viel schlimmer kommen können?

Aufgrund der Karten kann man davon ausgehen, dass zwölf Dörfer im Einzugsgebiet dieser Wassermassen lagen; sechs sind überschwemmt worden. Das hat zu 6000 bis 7000 Obdachlosen geführt. Die Tragödie ist da, es gibt vielleicht 100 oder noch mehr Tote. Natürlich hätte es schlimmer kommen können. Aber das Gebiet steht völlig unter Wasser. Und es wird Wochen, Monate oder gar Jahre dauern, bis sich die Region davon erholt hat.

In Laos wurden in den letzten Jahren Hunderte von Staudämmen entlang des Mekong gebaut. 61 befinden sich noch im Bau. Das Land definiert sich als Batterie Asiens. Wird sich daran nach der Katastrophe etwas ändern?

Das Unglück wird sicher dazu führen, dass man über die Bücher geht. Man wird sicherlich alle anderen Staudämme, die zum grössten Teil schon in Betrieb sind, überprüfen. Ein Gefahrenpotenzial gibt es natürlich bei solchen Bauwerken immer. Aber das stand bisher nicht im Vordergrund.

Wasserkraft ist Laos' wichtigstes Exportgut.

Im Vordergrund standen bisher eher ökologische Überlegungen. Es gibt Kritik am massiven Ausbau der Wasserkraft in Laos, die dazu geführt hat, dass Dutzende solcher Wasserkraftwerke im Bau, in Betrieb oder geplant sind. Insgesamt wird Laos bis 2030 über mehrere 100 Kraftwerke verfügen. Somit wird man nun sicher eine Standortbestimmung vornehmen müssen.

Das heisst, die Kräfte, die gegen diese vielen Staudämme in Laos sind, werden durch das Unglück gestärkt?

Zumindest kurzfristig erhalten sie sicher Auftrieb. Ich glaube aber nicht, dass man sich Illusionen hingeben darf. Wasserkraft ist das wichtigste Exportgut. Laos ist selbst in unterentwickelten Südostasien eines der ärmsten Länder.

Ich glaube nicht, dass sich die Regierung nun gross beirren lässt.

Man hat hier schon vor Jahrzehnten auf die Wasserkraft gesetzt, um die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Wobei dies der lokalen Bevölkerung meistens nur marginal zugutekommt. Aber das ist ein langfristiger Plan, und ich glaube nicht, dass sich die Regierung in der Hauptstadt nun gross beirren lässt. Normalerweise sucht man in autoritären Staaten bei solchen Unfällen einen Schuldigen, findet den in der Regel dann auch, und danach wird es weitergehen. Es ist eine Tragödie, und im Moment bewegt es die Weltöffentlichkeit. Sicherlich wird es zu einer Denkpause führen. Langfristig werden die Ausbaupläne davon wohl aber nicht tangiert sein.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

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