Der Ramon Magsaysay Preis gilt als der asiatische Friedensnobelpreis. Jährlich wird er an Menschen verliehen, die ihren Gesellschaften einen mutigen Dienst erweisen. Vergangene Woche ging der Preis an sechs Personen, darunter auch an den Kambodschaner Youk Chhang, einen Überlebenden der Roten Khmer.
Chhang war 14 Jahre alt, als die Roten Khmer am 16. April 1975 in Phnom Penh einmarschierten und ihn und die gesamte Stadtbevölkerung aufs Land trieben. Im Dorf erhielt der junge Youk ein paar Löffel Wasser pro Tag, eine Reissuppe, zwei Kleidungsstücke, keine Schuhe. Als er aus Hunger Reiskörner und Pilze vom Boden aufsammelte und ass, wurde er verprügelt und nach einem Schauprozess ins Gefängnis geworfen.
Youk Chhang erinnert sich: «Im Gefängnis war ich der Jüngste. Jeden Abend mussten wir antreten und eine Sünde beichten: Ich habe an Sodawasser gedacht; bitte vergebt mir. Ich habe meine Mutter vermisst, bitte vergebt mir. Der Gefängnisaufseher entschied, ob er dir verzieh oder dich umbringen liess. Ein alter Gefangener bat den Gefängnisaufseher, mich frei zu lassen. Erst ein Jahr später erfuhr ich, dass mein Helfer an meiner Stelle ermordet worden war.»
Nach knapp vier Jahren wird das Regime der Roten Khmer von Truppen aus dem wiedervereinigten Vietnam gestürzt. Youk Chhang kommt in ein Flüchtlingslager nach Thailand, dann in ein Lager in die Philippinen und geht später zur Ausbildung in die USA. Er arbeitet für die UNO, bis er nach Kambodscha zurückkehrt, um das Dokumentationszentrum von Kambodscha aufzubauen.
Erinnerung als Lebensaufgabe
Das Zentrum habe zwei Ziele, sagt er: «Die Erinnerung wach zu halten und Gerechtigkeit einzufordern. Gerechtigkeit bedeutet, all die zerbrochenen Stücke zu sammeln und zusammenzusetzen; zu zeigen, was die Roten Khmer unserem Volk angetan haben. Das ist meine Aufgabe. Denn noch heute ist es, als hätten die Roten Khmer einen dunklen Schatten über uns geworfen.»
Auf dem langen Weg der Aufarbeitung entstand vor mehr als zehn Jahren auch das Rote-Khmer-Tribunal. Angeklagt und verurteilt wurde die Führungsriege der Roten Khmer – auch dank der Dokumente und Augenzeugenberichte, die Youk Chhang und sein Team über Jahre gesammelt hatten.
Doch für Chhang, der ruhig, aber immer mit leichtem Selbstzweifel spricht, ist Versöhnung genauso wichtig wie Urteile: An diesem Nachmittag empfängt Chhang eine Gruppe von Jugendlichen, die in Phnom Penh studieren. Es sind alles Kinder von ehemaligen Kaderleuten der Roten Khmer.
Er hilft ihnen, sich in Phnom Penh zurecht zu finden, Englisch zu lernen und sich mit Kindern von Opfern der Roten Khmer auszutauschen, ihre Geschichten anzuhören.
Sie gehören nicht mehr zu meinem Leben, weil ich sie konfrontiert und mich von ihnen getrennt habe. Und sie fühlen keine Schuld mehr, weil sie mir die Geschichte erzählt haben. Wir sind versöhnt.
Auch Chhang wollte die Geschichte seiner ehemaligen Gefängniswärter hören, und kehrte deshalb in jenes Dorf zurück, wo er als 14-Jähriger gefoltert und eingesperrt worden war: «Sie haben sich nie entschuldigt und ich werde ihnen nie verzeihen. Denn wir erinnern uns an die Geschichte eines kleinen Jungen, der Reis gestohlen hatte und dafür gefoltert wurde.»
Aber diesen Knaben gebe es nicht mehr. Wenn er etwas von Versöhnung gelernt habe, dann das: «Ich habe das Dorf und seine Bewohner verlassen. Nicht nur physisch, sondern auch in meiner Erinnerung. Sie gehören nicht mehr zu meinem Leben, weil ich sie konfrontiert und mich von ihnen getrennt habe. Und sie fühlen keine Schuld mehr, weil sie mir die Geschichte erzählt haben. Wir sind versöhnt.»
Nicht nur für die Arbeit des Dokumentationszentrums, sondern auch für das lebenslange Streben nach Versöhnung, wurde Youk Chhang mit dem renommierten Ramon Magsaysay Preis ausgezeichnet.