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Das gespaltene Korea Für junge Südkoreaner ist Nordkorea Welten entfernt

Nordkorea richtet seine Atomwaffen auf den Süden. In Südkorea zucken vor allem die Jungen mit den Schultern. Sie haben sich vom nördlichen Bruderstaat entfremdet.

Nordkoreas Aggression gegenüber Südkorea kennt viele Gesichter: Jüngst waren es Ballone, die mit Abfall beladen im Süden landeten. Zuvor hatte Nordkorea ein gemeinsames Kommunikationsbüro in die Luft gesprengt und Verbindungstrassen zerstört. Dazu kommen wiederkehrende Raketentests.

Junge wenden sich ab

«Es wirkt so, als wollten sie uns unbedingt ihre Stärke zeigen – nach dem Motto: ‹Hey, wir sind euch überlegen›.» Das sagt die junge Modedesignstudentin Roxy in einem Diskussionscafé in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul.

Sorgen mache sie sich deshalb aber nicht. Roxy ist überzeugt: Auch wenn Nordkorea nun Atomwaffen habe, könne sich Südkorea gegen den aggressiven Nachbarn wehren. Der Glaube an die eigene wirtschaftliche und militärische Stärke ist gross. Ihre Kolleginnen am Tisch sehen es ähnlich.

Es ist eine Haltung, die ein grosser Teil der jungen Generation mitträgt. Ein weiterer gemeinsamer Nenner ist bei den jungen Leuten im Café auszumachen: Sie glauben nicht mehr an eine Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea.

Nord und Süd entfremden sich

Die 25-jährige Möbeldesignerin Hyun sagt, die Wiedervereinigung sei ein Thema der Gross- und Urgrosseltern. Sie hätten noch unter der Trennung gelitten. «Sie haben die Trennung ganz unmittelbar erlebt. Sie waren eine Familie, die auseinandergerissen wurde.» Für ihre Generation gelte das nicht mehr.

Auch die ältere Generation möchte nicht, dass die Jüngeren die Last tragen müssen.
Autor: Roxy Modedesignstudentin, Seoul

In den achtzig Jahren hätten sich der Norden und Süden weit voneinander entfernt – politisch, kulturell und wirtschaftlich. Roxy sagt, dass vor allem die wirtschaftlichen Unterschiede ein Hindernis seien für ein Zusammengehen. Südkorea ist heute eine globale Wirtschaftsmacht. Nordkorea ist mausarm.

Es wäre eine zu grosse Last für die junge Generation, das finanzielle Gefälle auszugleichen. Mit Blick auf ihre Eltern sagt sie: «Deshalb möchte auch die ältere Generation nicht, dass die Jüngeren diese Last tragen müssen.»

K-Pop als Waffe und Sünde

Doch längst nicht alle haben das Ziel aufgegeben. Lee Ae-ran, Gründerin der Organisation «Zentrum für Freiheit und Wiedervereinigung», hofft, dass es dereinst wieder ein Korea gibt. Wobei für sie klar ist, dass der Norden in den Süden integriert werden muss.

Lee ist selbst vor fast dreissig Jahren aus Nordkorea geflohen. Mit ihrer Organisation kämpft sie heute für das Ziel der Wiedervereinigung. Ihre Waffen dabei: Ballone, USB-Sticks und K-Pop. «Wir speichern Videos auf die USB-Sticks und schicken sie mit Ballonen über die Grenze.»

Südkoreanische Popmusik, Serien und Dramen sind auch bei Nordkoreanerinnen und Nordkoreanern beliebt. Die Inhalte werden fleissig geteilt. Nordkorea hat darauf mit neuen Gesetzen geantwortet. Der Konsum von K-Pop kann nun mit Straflager bestraft werden. Wer beim Verbreiten solcher Inhalte erwischt wird, dem droht gar die Todesstrafe.

Die Trennung Koreas

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Die politischen Systeme – wie auch die Trennung – kamen von aussen auf die Halbinsel. 1945, nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde Korea entlang des 38. Breitengrads geteilt – in eine sowjetisch kontrollierte Nordzone und eine von den USA verwaltete Südzone.

Beide damaligen Schutzmächte sind heute noch in den Konflikt involviert. Aus der provisorischen Grenzziehung entstanden 1948 zwei eigenständige Staaten mit scharfen ideologischen Gegensätzen. Der Koreakrieg von 1950 bis 1953 zementierte die Spaltung. Gleichzeitig beanspruchten beide Staaten jeweils das gesamte Gebiet.

Seit vergangenem Jahr jedoch hat Nordkorea diesen Anspruch aufgegeben – und bezeichnet Südkorea nun offiziell als feindlichen Staat. Der Süden hingegen hält formell an der Wiedervereinigung fest – und damit am politischen Anspruch auf die gesamte Halbinsel.

Der Norden wendet sich ab

Nordkorea geht nicht nur kulturell auf Distanz zum Süden. Im letzten Jahr hat sich das autoritäre Regime unmissverständlich abgewendet und bezeichnet Südkorea nun als feindlichen Staat. Eine sprachliche Zäsur mit politischem Zündstoff.

Schild im Dora Observatorium informiert über gesperrten Zugang zur 3. Etage.
Legende: Wegen der zunehmenden Spannungen mussten Aussichtsplattformen in der entmilitarisierten Zone geschlossen werden. SRF / Samuel Emch

Die Atomsprengköpfe von Nordkorea sind so nicht mehr auf Gebiete gerichtet, die man ursprünglich selbst beansprucht hat, sondern auf ein feindliches Land. Es ist Ausdruck davon, wie das schlechte Verhältnis der beiden Koreas sich weiter verschärft hat.

Dämonische Geräusche aus dem Norden

Die zunehmenden Spannungen wirken sich auch direkt auf die Bevölkerung aus. Insbesondere auf die Bewohnerinnen und Bewohner an der Grenze. Zum Beispiel im Dorf Bukseong-Ri am Han-Fluss.

Über den Fluss sieht man nach Nordkorea. Die pensionierte Han Hee-ok pflanzt gerade Mais im Garten – und schimpft über Geräusche aus dem Norden: «Ich habe gehört, dass manche wegen dieser Geistermusik sogar Depressionen bekommen haben.»

Seit Dezember habe die Beschallung aus dem Norden wieder begonnen. Dies, nachdem es jahrelang ruhig war. Han kennt die Lärmbelästigung noch aus ihrer Kindheit. Aber: «Damals war es noch Propaganda, etwas, das man zumindest verstehen konnte.»

Jetzt plötzlich diese dämonischen Geräusche – manchmal die ganze Nacht durch. Es sei zum Verrücktwerden, meint die alte Frau, die ihr ganzes Leben in der Grenzregion gelebt hat. Sie hofft, dass eine neue Regierung in Südkorea das Problem lösen könne.

Schweizer Militär an der koreanischen Grenze

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Mann in Tarnuniform mit Abzeichen, steht vor schwarzem Hintergrund.
Legende: Oberst Thomas Bucheli ist der stellvertretende Leiter der Schweizer Militärdelegation, die den Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea überwacht. SRF / Samuel Emch

Eine helvetische Militärdelegation beobachtet die Lage an der Grenze seit über siebzig Jahren. Sie ist Teil der Neutralen Überwachungskommission, die am Ende des Koreakriegs eingesetzt worden war. Seit dem Waffenstillstand von 1953 wacht sie über dessen Einhaltung.

Stationiert sind die Schweizer in Panmunjom, mitten in der entmilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea. Seit dort vor anderthalb Jahren ein US-Soldat in Zivil über die Grenze nach Norden lief, ist das Gelände für Besucher gesperrt.

Gouverneur ohne Land

Trotz aller Spannungen und Provokationen hält Südkorea formell am Ziel der Wiedervereinigung und auch am territorialen Anspruch auf die ganze koreanische Halbinsel fest. Dieser manifestiert sich in einem grossen, hellgrauen Bürobau.

Das Verwaltungsgebäude für die fünf nordkoreanischen Provinzen steht in einem ruhigen, hügeligen Quartier der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Hier arbeitet auch der Gouverneur für die nördlichste Provinz, für Nord-Hamgyong, Ji Seong-ho.

Die Mehrheit in Nordkorea glaubt weiterhin, dass es zur Wiedervereinigung kommt.
Autor: Ji Seong-ho Gouverneur für Nord-Hamgyong

In seinem karg eingerichteten Büro fällt ein meterbreites Organigramm mit dutzenden Kästchen an der Wand auf. Im obersten Kästchen ist das Foto des Gouverneurs. «Wir haben symbolische Gouverneure für die fünf Provinzen im Norden. Für jede dieser Provinzen gibt es auch Bürgermeister, Landräte und so weiter – eine ganze Organisationsstruktur also.»

108 bezahlte Beamte habe er unter sich. Leute, die im Falle einer Wiedervereinigung sofort ihre Rollen im künftigen Staatsapparat übernehmen würden. Auf den Einwand, dass sich dieses Ziel immer weiter entferne, sagt der Gouverneur: «Die Mehrheit der Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner glaubt weiterhin, dass es zur Wiedervereinigung kommt.»

Mann in Anzug steht vor einer Pinnwand mit Fotos und Text.
Legende: Ji Seong-ho ist südkoreanischer Gouverneur für die nordkoreanische Provinz Nord-Hamgyong. Damit macht Südkorea den Anspruch auf die ganze Halbinsel geltend. SRF / Samuel Emch

Die Kim-Diktatur im Norden habe dies über Jahrzehnte propagiert. Allerdings möchte die Bevölkerung eine Wiedervereinigung nach südkoreanischem Beispiel. Davon ist der Gouverneur, der 2006 aus Nordkorea geflohen ist und im Süden eine steile politische Karriere hingelegt hat, überzeugt.

Nachdenklicher wird Gouverneur Ji Seong-ho, wenn er über die Situation in Südkorea spricht. Hier sei die Wiedervereinigung zwar ein staatliches Ziel, aber: «In der Realität fürchten viele Bürger die wirtschaftlichen Kosten und mögliche soziale Umbrüche.» Es sei eine paradoxe Situation auf der koreanischen Halbinsel.

Spannungen dürften zunehmen

Komplex ist die Situation in der Tat: Das nordkoreanische Regime will keine Wiedervereinigung mehr, aber die Bevölkerung will. Während im Süden der Staat immer noch am Ziel des Zusammenfindens festhält, die Menschen jedoch zunehmend das Interesse daran verlieren.

Diese widersprüchliche Lage, gepaart mit einem stetigen Auseinanderdriften in mehreren Belangen, erhöht die Spannungen zwischen den beiden Koreas weiter. Sie führen damit dazu, dass Nord und Süd sich noch weiter entfremden.

Rendez-vous, 22.5.2025, 12:30 Uhr;brus

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