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Der vergessene Krieg auf den Philippinen
Aus 10 vor 10 vom 03.08.2017.
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Kämpfe auf den Philippinen Das neue Schlachtfeld des IS

Islamisten haben Ende Mai die süd-philippinische Stadt Marawi überfallen und zum Teil besetzt. Seitdem versuchen Regierungstruppen die Stadt zurückzuerobern. Barbara Lüthi war vor Ort. Sie schildert Ihre Eindrücke und erklärt, was der IS mit dem Angriff zu tun hat.

SRF News: Wie ist die Situation aktuell in Marawi?

Barbara Lüthi: In zwei Distrikten der Stadt haben sich die Rebellen laut Armee noch verschanzt. Ausserdem halten sie die grösste Moschee der Stadt besetzt. Rund um die Moschee liegt die Stadt in Schutt und Asche, weil die Luftwaffe diese Bereiche bombardiert hat. Die Moschee wird die Armee nicht bombardieren, das wäre nur eine weitere Provokation und wäre eine Kriegserklärung an alle Muslime. Marawi ist eine Geisterstadt. Über 200'000 Menschen sind aus der Stadt geflohen.

Was ist mit denen, die nicht mehr flüchten konnten?

Seit gut einer Woche kommen keine Menschen mehr aus der Stadt. Entweder können sie nicht flüchten, denn aus der Luft drohen die Bomben der Armee und am Boden bekämpfen sich die Regierungstruppen und die Rebellen in einem erbitterten Häuserkampf. Oder sie befinden sich in der Gewalt der Rebellen.

Barbara Lüthi

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Die Journalistin ist Südostasien-Korrespondentin. Zuvor berichtete sie mehrere Jahre lang für SRF aus China. 2008 erhielt Barbara Lüthi den «CNN Journalist of the year award».

Wie viele Menschen sind Geiseln der Islamisten?

Die Armee nimmt an, dass sich etwa 50 bis 70 Zivilisten in der Gewalt der Rebellen befinden. Ich konnte mit einer Frau reden, deren ganze Familie in der Moschee als Geiseln gehalten wird. In einem Telefonat erfuhr sie: Ihr Mann wird als Koch von den Rebellen gebraucht und ihr Sohn erzählte, dass er an der Frontlinie als menschliches Schutzschild benutzt wird.

Der Konflikt zwischen muslimischen Rebellen und der Regierung dauert schon länger. Warum ist es zu dieser Eskalation gekommen?

Die Muslime auf Mindanao (südliche Insel der Philippinen) fordern seit Jahrzehnten, dass sie ihr Leben in einem überwiegend christlichen Land selber bestimmen können. Rebellen kämpfen um einen autonomen, muslimischen Staat. Bereits unter der letzten Regierung wurde ein Friedensabkommen unterschrieben, nichts hat sich aber verändert.

Präsident Rodrigo Duterte unterschrieb Ende 2016 einen neuen Executive Order, um die sogenannte Bangsamoro Übergangs-Kommission zu vergrössern. Die Kommission soll neu 21 Mitglieder zählen. Darunter auch Mitglieder der zwei grössten Rebellengruppen Islamische Befreiungsfront der Moros (MILF) und die Moro National Liberation Front (MNLF). Die Kommission soll eine Verfassung für einen autonome Region Mindanao ausarbeiten. Doch seither hat sich nichts verändert. Extreme Gruppen wie die Maute-Rebellen haben sich für den Krieg entschieden.

Was hat die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit der Eskalation zu tun?

Die Stadt Marawi wurde von den Maute-Rebellen erobert. Diese werden von zwei Brüdern angeführt, die eigentlich aus einer angesehenen politischen Familie stammen. Beide Brüder wurden im Nahen Osten radikalisiert. Schon 2014 haben sie der Terrormiliz IS die Treue geschworen – ebenso wie andere islamistische Gruppen wie «Abu Sayyaf». Es ist zu einer Allianz unter der Fahne des IS im Süden gekommen. Ziel ist die Gründung eines Kalifats auf den Philippinen.

Von Seiten der Soldaten heisst es: Es ist schwierig, auf Kinder zu schiessen, aber wir haben keine Wahl.

Wer kämpft denn im Namen des IS?

Es sind die radikalen Rebellen-Gruppen. Darunter befinden sich auch Jugendliche Kämpfer, wie die Armee und andere Quelle berichten. Mindanao ist für den IS der ideale Ort, um neue Kämpfer zu rekrutieren. Denn die muslimische Jugend fühlt sich häufig gegenüber der christlichen Mehrheit benachteiligt und diskriminiert. Hinzu kommt die Aussicht auf ein IS-Kalifat in einem christlichen Land. Dieses Ziel motiviert die Islamisten. Für die Armee ist die Situation nicht nur aus militärischer Sicht schwer. So heisst es von Seiten der Soldaten etwa: Es ist schwierig auf Kinder zu schiessen, aber wir haben keine Wahl, denn sie schiessen auf uns.

Was unterscheidet den Überfall in Marawi von den bisherigen Kämpfen?

Die Art und Weise wie die Besetzung stattgefunden hat und auch die Brutalität mit der die Islamisten vorgehen, trägt ganz klar die Handschrift des IS. Sie kopieren dessen sektiererische Gewalt. So wurde beispielsweise die grösste christliche Kirche in Marawi zerstört. Ihre Geiseln trennen sie in muslimische und christliche Gruppen. Zeugen berichten von Erschiessungen, weil Geiseln den Koran nicht zitieren konnten. Neu ist auch die Logistik, die hinter diesem Überfall steckt. Das spricht ganz klar dafür, dass der Überfall von langer Hand geplant wurde. Man hätte nie erwartet, dass die Rebellen eine Stadt erobern und sich dort sogar halten können. Die Rebellen erhalten offensichtlich Nachschub an Munition und Kämpfern.

Wie ist denn der Rückhalt für den IS in der Zivilbevölkerung?

Die meisten Muslime verurteilen die Gewalt, aber gleichzeitig gibt es Widerstand gegen die Bombardierung der Stadt durch die Luftwaffe. Demonstrationen dagegen nehmen zu und die Wut auf die Regierung wächst. Die Bomben würden nur die Stadt zerstören und wieder unschuldige Muslime treffen, argumentieren die Demonstranten. In den Köpfen der Kinder vor Ort manifestiert sich ausserdem ein negatives Armee-Bild. Sie sehen die Bombardierungen, sie sehen Soldaten, die ihre Eltern kontrollieren. Das verheisst nichts Gutes für die Zukunft. Das Feindbild wird so zementiert und seit Duterte das Kriegsrecht über Mindanao verhängt hat, fühlen sich die älteren an die Marcos-Diktatur erinnert.

Duterte hat das Problem wegen des Drogenkrieges schlicht links liegen gelassen.

Was unternimmt Duterte gegen die Besetzung von Marawi?

Duterte hat das Problem wegen des Drogenkrieges schlicht links liegen gelassen und das nachdem er Ende 2016 versprach, dem Friedensprozess höchste Priorität einzuräumen. Jetzt reagiert er mit der harten Hand und es gibt kein Zurück mehr. Als er die Maute-Brüder nicht in den Friedensprozess einbinden konnte, hatte er sie öffentlich provoziert. Das war kontraproduktiv.

Das Gespräch führte Oliver Roscher.

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