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International Das ungleiche Spiel der Türkei mit den Kurden

Mit Gewalt und Repression geht die Türkei im eigenen Land gegen kurdische Gruppierungen vor – auch in Syrien. Ganz anders im Nordirak, dort sind die Kurden Freunde und Handelspartner. Was steckt dahinter?

SRF News: Im eigenen Land und in Syrien bekämpft die Türkei die Kurden mit tödlicher Gewalt, im Irak aber unterstützt sie die kurdischen Peschmerga im Kampf gegen den IS – wie passt das zusammen?

Rayk Hähnlein: Bei den irakischen Peschmerga-Kämpfern und bei den Kurden, die sich im Norden Syriens militärisch engagieren, handelt es sich um zwei völlig unterschiedliche Gruppen.

Rayk Hähnlein

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Der Politikwissenschaftler forscht bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin. Schwerpunktmässig beschäftigt er sich mit Sicherheitspolitik, fragilen Staaten, mit den Kurden wie auch mit der Türkei.

Die meisten kurdischen Kämpfer in Syrien zählen sich zur so genannten YPG (Volksverteidigungseinheit). Diese hat einen sozialistischen Hintergrund und Verflechtungen mit der PKK – der kurdische Arbeiterpartei – gegen die die Türkei schon lange vorgeht. Die Türkei will vor allem verhindern, dass hier eine grenzübergreifende Unabhängigkeitsbewegung der Kurden entsteht. Sie fühlt sich in ihrer Identität bedroht.

Die Peschmerga hingegen gehören zur kurdischen Autonomieregion im Nordirak – einem quasi staatlichen Gebilde mit einem kapitalistischen Wirtschaftssystem und einer international anerkannten Regierung.

Die syrischen YPG sind genau wie die Peschmerga stark im Kampf gegen den IS engagiert und werden dabei auch international unterstützt – etwa von den USA. Torpediert die Türkei mit ihrem Vorgehen gegen die syrischen Kurden nicht die internationalen Bemühungen gegen den IS?

Zu sehen ist ein kurdischer Soldat, im Hintergrund Gefechtsrauch.
Legende: Ein Peschmerga-Kämpfer steht Wache in der Nähe von Mossul. Keystone

Ja, denn die YPG sind tatsächlich ein wichtiger Partner der US-geführten Allianz. Sie spielten vor knapp zwei Jahren eine grosse Rolle bei der Rettung der Jesiden, einer christlichen Minderheit. Diese wurden damals vom IS brutal aus ihren Dörfern vertrieben und im Sindschar-Gebirge eingekesselt. Die YPG erkämpften für sie einen Fluchtkorridor. Auch bei der Befreiung der nordsyrischen Stadt Kobane gewannen sie internationale Anerkennung. Aber die Türkei befürchtet, dass die YPG aus diesen Erfolgen eine mögliche Unabhängigkeit ihres «Rojava» – ihres Gebietes in Nordsyrien ableitet – was die Türkei mit allen Mitteln verhindern will. Der Kampf gegen die PKK und YPG hat für die Türken Priorität – noch vor dem Kampf gegen den IS.

Wie steht es mit dem Verhältnis der kurdischen Bewegungen untereinander?

Nicht sehr gut – vor allem aufgrund der unterschiedlichen Ideologie. Wie bereits gesagt empfinden sich die PKK und ihr syrischer Arm eher als sozialistische Bewegung während die autonome Region Kurdistan eher von einem kapitalistischen Wertesystem geprägt ist. Beide Bewegungen konkurrieren sich teilweise auch geografisch. Die Befreiung der Jesiden durch die YPG geschah ja ebenfalls im Nordirak. Die Peschmerga hingegen standen damals beim Kampf gegen den IS eher schlecht da. Es ist also nicht in ihrem Sinne, dass die syrischen Kurden zu stark werden. Deswegen erlaubt sie der Türkei auch schon länger von ihrem Gebiet aus gegen die PKK vorzugehen, die in den nordirakischen Kandil-Bergen an der Grenze zur Türkei einen wichtigen Rückzugsraum haben.

Sie sind keine Verbündeten und sie verfolgen nicht die gleichen Ziele.

Die Lage ist also uneinheitlich und komplex bei den Kurden. Sie sind keine geschlossene Verbündete und sie verfolgen nicht die gleichen Ziele.

Zurück zu den türkischen Interessen: Gegen das nordirakische Autonomiegebiet der Kurden hat sie nichts, weil sie sie sich von ihnen nicht bedroht fühlt. Hat sie auch einen konkreten Nutzen?

Die kurdische Regionalregierung im Irak stellt für die Türkei einen ziemlich zuverlässigen Partner da. Sie kooperiert mit ihr nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich – etwa über den Ölhandel.

Die Türkei kooperiert auch militärisch; sie bildet beispielsweise bereits seit längerem Peschmerga-Kämpfer aus. Beim Befreiungskampf um Mossul hält sie sogar den Einsatz von eigenen Bodentruppen für möglich. Dabei geht es bestimmt um mehr als «nur» um die Unterstützung des kurdischen Handelspartners?

Die Türkei will ihren Einfluss in der Region halten und ausbauen

Die Türkei will natürlich ihren Einfluss in der Region halten und ausbauen und ist offensichtlich der Meinung, dass sie das am besten tun kann, wenn sie selbst physisch präsent ist. Sie versteht sich dabei auch als Gegengewicht zu den schiitischen Milizen, die ebenfalls bei der Befreiung Mossuls mitwirken und vom Iran ausgebildet werden.

Nachdem der IS besiegt ist, will Ankara bei der Neugestaltung des Iraks auf keinen Fall ins Hintertreffen geraten. Die Türken betonen deshalb auch immer wieder ihre historische Schutzverantwortung, die sie gegenüber den sunnitischen Bürgern in Mossul hätten – tatsächlich war Mossul bis vor hundert Jahren Teil des osmanischen Reiches.

Kein Interesse an einem weiteren militärischen Mitspieler in der Region hat die irakische Regierung – sie forderte Ankara schon mehrfach zum Rückzug auf. Lässt sich die Türkei davon beeinflussen?

Zu sehen ist ein Panzer.
Legende: Ein türkischer Panzer patrouilliert in einer kurdischen Stadt im Osten der Türkei. Keystone

Die irakische Regierung ist von verschiedenen Seiten unter starkem Druck und schwach. Deshalb hat sie den Türken auch nicht mehr als Rhetorik entgegenzusetzen. Inwieweit die Türken ihr militärisches Engagement im Kampf um Mossul begrenzen, wird so wohl vor allem von den USA abhängen. Die USA könnten Ankara allenfalls davon überzeugen, sich nicht weiter zu engagieren. Denn, komplexe Grossoperationen wie die Schlacht um Mossul brauchen eine klare zentrale Organisation und Führung. Diese Verantwortung liegt bei den irakischen Streitkräften, die durch die Zusammenarbeit der kurdischen und schiitischen Milizen sowie ihrer eigenen Truppen derzeit schon sehr gefordert sind. Ein türkisches Engagement, das nicht mit den Irakern abgesprochen ist, könnte den Erfolg der Operation um Mossul deutlich beeinträchtigen.

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