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Menschen gehen auf sandigem Untergrund, wegen der staubigen Luft sind nur ihre Umrisse zu sehen.
Legende: Viele flüchten vor den Kämpfen rund um Mossul. Das Bild wurde am 19. Oktober 2016 geschossen. Reuters

International Berichte aus dem IS-Gebiet: «Wir lebten wie Gefangene»

Eine Gruppe Dorfbewohner flieht vor den Kämpfen rund um Mossul in Irak. Jetzt sind sie auf der kurdischen Seite der Front und berichten über die Leiden unter dem Diktat der Extremisten des IS.

Umm Ahmed packte ihre beiden Söhne und rannte los. Irgendwie die Linien der kurdischen Peschmergakämpfer erreichen, das sei ihr einziger Gedanke gewesen. Fort von der Dschihadistenmiliz IS. Vorausgegangen waren zwei Tage mitten in der Kampfzone. Das Dorf von Umm Ahmed liegt knapp zehn Kilometer vom Stadtrand von Mossul entfernt.

Umm Ahmed glaubte schon, alle Dorfbewohner würden zwischen den Fronten aufgerieben. Doch ein Junge nahm allen Mut zusammen und rannte mit einer weissen Fahne den Peschmerga entgegen. Es sei ein Fanal gewesen, Frauen und Kinder folgten. Zuletzt eine Gruppe von Männern. So die Schilderung der Dorfbewohner.

Sechzig waren sie insgesamt, aus ihrem Dorf, sagt ein älterer Mann in Tracht. Die Peschmerga evakuierten sie aus der Gefechtszone. Mit nichts als den Kleidern, die sie am Leib trugen, erzählt Umm Ahmed.

Zwei Jahre lebten sie unter der Kontrolle der Dschihadisten. Die Flüchtlinge beschreiben ein drakonisches Regime, in dem jeder Versuch des Widerstands mit grausamen Strafen erstickt wurde. Wo Gegner zur Abschreckung öffentlich geköpft wurden. Kompromisslos hätten die Extremisten von IS auch ihre kruden Vorstellungen von der islamischen Scharia durchgesetzt.

«Wir lebten wie Gefangene», sagt der fünfzehnjährige Ahmed. Frauen mussten sich schwarz verhüllen, Männer ihre Bärte stehen lassen, mussten beten, durften nicht rauchen. Eine Schule gab es nicht. «Wie wir unsere Tage verbracht haben? Wir haben unsere Felder bestellt. Uns um unsere Tiere gekümmert.»

Die Dschihadisten traten nur in Erscheinung, um ihre Ordnung durchzusetzen. Oder die Dorfbewohner zu demütigen
Autor: Geflüchteter älterer Mann

Anfangs seien sehr viele Dschihadisten im Dorf gewesen, zuletzt nur noch ein paar Dutzend, erzählt Ahmed. Wer waren die Peiniger und woher kamen sie? «Ich weiss es nicht. Die haben ja kaum mit uns gesprochen», sagt Umm Ahmed. Sie blieben unter sich, sagen auch andere Flüchtlinge – die Antworten wirken ausweichend. «Die Dschihadisten traten nur in Erscheinung, um ihre Ordnung durchzusetzen. Oder die Dorfbewohner zu demütigen», fügt der Mann in Stammestracht hinzu.

Wenn eine Beerdigung war und die Leute zusammenströmten, stellten sich die Dschihadisten dem Trauerzug in den Weg und fragten die Leute, warum sie weinten um einen, der nicht genügend gebetet habe und ein Ungläubiger sei. Nur auf die Buben gingen sie manchmal zu, erzählt der fünfzehnjährige Ahmed. «Sie versuchten uns zu rekrutieren. Kein einziger ist ihnen gefolgt», sagt der Junge.

Flüchtlinge für lange Zeit

Die Zeit der blutigen Abrechnungen wird kommen in der Ebene von Mossul, seit jeher ein Vielvölkergemisch. Doch Andersgläubige und Andersdenkende wurden von den Dschihadisten verfolgt. Wer war mit Überzeugung dabei, wer war Mitläufer? Wer Profiteur, wer hat sich arrangiert? Die Fragen werden kommen. Nur der ältere Herr räumt ein, die meisten der IS Milizen seien nicht etwa Ausländer gewesen, sondern stammten aus der Gegend um Mossul selbst. Söhne aus den Dörfern und Kleinstädten.

Den paar Familien gelang die Flucht in die Kurdenregion. Sie sind nun in Sicherheit. Was von ihren Häusern noch übrig sein wird nach der Schlacht? Umm Ahmed sagt, sie richte sich auf eine längere Zeit als Flüchtling ein. «Erst wenn Mossul befreit und die Gegend sicher ist, kehren wir in unser Dorf zurück.»

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