Zum Inhalt springen

Das war die Kanzlerwahl Friedrich der nicht mehr ganz so Grosse

Auf dem Weg ins Kanzleramt kriegt der CDU-Chef einen Denkzettel verpasst – wohl auch aus den eigenen Reihen. Im zweiten Anlauf sollte es dann klappen.

Aller guten Dinge sind zwei? Mitnichten: Im deutschen Parlament trug sich heute Historisches zu. Noch nie war ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag durchgefallen.

«Das SchMerzt», frotzelte die Bild-Zeitung. Denn die Schlappe im ersten Wahlgang zeigte auch, dass die Reihen unter den Koalitionären aus Union und SPD nicht geschlossen sind: Einzelne Abweichler versagten Merz ihre Unterstützung.

Merz im Bundestag
Legende: Dass mehrere Abgeordnete von Union oder SPD nicht für Merz stimmten, wurde in Koalitionskreisen damit erklärt, dass es eine Reihe Unzufriedener gebe. Keystone/DPA/Hannes P. Albert

Offenkundig hadern konservative Abgeordnete von CDU/CSU mit dem Koalitionsvertrag. Für sie ist von der «Politikwende» wenig übriggeblieben, die Merz im Wahlkampf versprochen hatte. Doch auch in der SPD, die im Februar ein historisch schlechtes Wahlergebnis holte, hadern so manche mit dem Koalitionsvertrag.

Esken gratuliert Merz.
Legende: Dem linken Parteiflügel der SPD dürfte auch aufgestossen sein, dass Co-Parteichefin Saskia Esken aussortiert wurde. Die Parteiführung erkannte jedoch keine Abweichler in den eigenen Reihen. Keystone/DPA/Christoph Söder

Wer Merz bei der geheimen Wahl einen Denkzettel verpassen wollte, bleibt vorderhand ungeklärt. Klar ist: Partystimmung wird heute in Berlin kaum ausbrechen.

Politbeben in Berlin

Dabei hatte der Tag feierlich begonnen. Auf der Zuschauertribüne verfolgte Merz’ Familie das Geschehen, und auch Angela Merkel lächelte freundlich zu ihrem einstigen parteiinternen Rivalen hinunter. Bis Bundestagspräsidentin Julia Klöckner kurz nach 10 Uhr verkündete:

Der Abgeordnete Friedrich Merz hat die erforderliche Mehrheit von mindestens 316 Stimmen nicht erreicht. Er ist gemäss Artikel 63 Absatz zwei des Grundgesetzes zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nicht gewählt.

Der designierte Kanzler erhielt nur 310 der erforderlichen 316 Stimmen. Was folgte, war ein mittelschweres Politbeben: Merz rang mehr schlecht als recht um Fassung, entgeistert blickten die Abgeordneten von SPD und Union durch die eigenen Reihen, und der deutsche Börsenindex Dax bekam eine empfindliche Delle.

«Eine historische Klatsche», befand SRF-Korrespondentin Alexandra Gubser in einer ersten Reaktion. «Absurd», raunte der scheidende Kanzler Olaf Scholz, und verliess kopfschüttelnd den Bundestag. Draussen vor der Tür soll er einem Reporter sogar «den Vogel» gezeigt haben. So berichtet es zumindest der «Tagesspiegel».

CSU-Chef Markus Söder versuchte aus München, die Wogen zu glätten: «Wir sind in einer ernsten Lage für unser Land und unsere Demokratie», verkündete der bayrische Ministerpräsident. «Aber noch ist alles heilbar.»

Im politischen Berlin brachte sich dagegen die Opposition in Stellung. Die eben erst vom Verfassungsschutz als «gesichert rechtsextremistisch» eingestufte AfD jubelte – und verlangte prompt Merz’ Rücktritt und Neuwahlen.

Dann wurde es still in der Herzkammer der deutschen Politik. Ganze vier Stunden dauerte es, bis der Bundestag wieder zusammentrat – und grünes Licht dafür gab, dass noch am selben Tag ein zweiter Wahlgang abgehalten werden konnte.

Das ging nochmal gut...

Dafür waren Union und SPD auch auf die Stimmen der Linken angewiesen. Pikant: Die CDU hat einen «Unvereinbarkeits­beschluss» gefasst, der eine Zusammenarbeit mit der Linken ausschliesst. Letztlich ermöglichte auch sie es, dass Merz doch noch zum Kanzler gewählt werden konnte – was im zweiten Anlauf auch gelang.

Um 16:16 Uhr nahm Merz die Wahl an. Diesmal erhielt er 325 Stimmen – die Abweichler konnten auf Linie gebracht und der Supergau verhindert werden. Merz nahm geduldig die Gratulationen im Parlament entgegen, und kurz darauf auch die «Ernennungsurkunde» von Bundespräsident Steinmeier im Schloss Bellevue.

Als der zehnte Kanzler der Bundesrepublik seinen Amtseid ablegte, nutzte er die Formel: «So wahr mir Gott helfe.» Ob er auch schon heute eingegriffen hat, ist nicht überliefert. Fest steht: Friedrich Merz zieht mit schwerem Gepäck ins Kanzleramt ein.

Echo der Zeit, 06.05.2025, 18 Uhr

Meistgelesene Artikel