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International Der vergessene Krieg

Es ist ruhig geworden um den Krieg in der Ostukraine. Die Ruhe täuscht aber: Der Konflikt zwischen Kiew und den pro-russischen Separatisten schwelt weiter – die vor einem Jahr vereinbarte Waffenruhe ist brüchig. Darunter leidet vor allem die Zivilbevölkerung.

SRF News: Was ist für die Leute in der Ostukraine das Schwierigste?

Sabine Adler: Ich glaube, das Allerschwierigste ist, den Kontakt zu dem besetzten Gebiet aufrecht zu erhalten. Für Leute, die von dort weggegangen sind, weil sie nicht unter Separatisten-Herrschaft leben wollen oder ihnen die ganze Kriegssituation zu unheimlich ist, aber dennoch Angehörige im besetzten Gebiet haben oder etwas erledigen müssen. Wenn diese aus von der Ukraine kontrolliertem Gebiet zurück nach Hause wollen, ist das eine Hürde, die man praktisch nicht nehmen kann.

Sabine Adler

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Adler (* 1963) ist eine deutsche Journalistin und Autorin. Sie arbeitet als Osteuropa-Korrespondentin für den Deutschlandfunk. Sabine Adler ist Mitglied von Women in International Security (WIIS), einem Netzwerk von Frauen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, und von Reporter ohne Grenzen.

Die Grenze, die sogenannte Frontlinie, ist nur an insgesamt fünf Punkten zu überqueren. Sie ist aber fast 500 Kilometer lang. Wenn man einen der Punkte passieren will, muss man sich in eine ewiglange Autoschlange einreihen – mit bis zu 30 Stunden Wartezeit. Schon auf der Fahrt dorthin passiert man viele Checkpunkte, wo man anhalten und aussteigen muss.

Ist das nur mühsam oder auch gefährlich?

Das ist deshalb gefährlich, weil es Frontgebiet ist. Das heisst, dort stossen immer wieder Kämpfer aufeinander. Zum Teil wird genau an dieser Linie um neue Territorien gekämpft. Auf beiden Seiten gibt es Gruppen, die die Gebiete der Gegner angreifen wollen. Meist geht dies von der Seite der Separatisten aus.

Wenn man sich in der Nähe des besetzten Gebietes bewegt, hört man nach wie vor Schüsse. Ich war zum Beispiel in Switlodarsk, einer Stadt, die sehr nahe am Frontgebiet liegt. Dort hört man mitten in der Stadt Schüsse. Die Einwohner sagen zwar, man müsse keine Angst haben, das sei weit weg. Aber manchmal zucken auch sie zusammen, wenn die Schüsse plötzlich viel näher zu hören sind.

500 Kilometer lang ist die Frontlinie, nur fünf Übergänge gibt es: Kann man denn nirgends zwischendurch gehen?

Man könnte meinen, dass man das kann. Aber die grosse Gefahr dabei ist: Entlang der Frontlinie haben beide Seiten Minenfelder gelegt, mit Tausenden von Minen. In einer Woche schaffen die Leute vom Katastrophenschutz-Ministerium, maximal 250 Minen zu entschärfen. Die Arbeit wird wahrscheinlich Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Und das Verrückte ist, dass beide Seiten immer neue Minen legen.

Wo ist die Lage schlimmer: Auf der ukrainischen oder pro-russischen Seite?

Aus Gesprächen mit den Leuten vor Ort, zum Beispiel von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die Zugang zu Städten wie Donezk haben, kann man Folgendes sagen: Die Versorgung der Bevölkerung ist zwar gewährleistet, aber auf ganz tiefem Niveau.

Die Preise für Grundnahrungsmittel sind niedrig, vor allem für Produkte die aus Russland importiert werden. Alle höherwertigen Produkte sind sehr teuer, weil sie zum Teil geschmuggelt werden. Oder es werden Strafzölle erhoben, die es offiziell nicht gibt. Das Leben ist also teuer, extrem unsicher und politisch stark kontrolliert. Dennoch sind die Menschen der Meinung, dass es völlig falsch ist, sie zur Ausreise aus diesem Gebiet zu zwingen.

Audio
Angst, Unterversorgung, Minen - Alltag in der Ostukraine
aus Echo der Zeit vom 17.01.2016.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 59 Sekunden.

Wie steht es denn um die medizinische Versorgung?

Ärzte ohne Grenzen sagt, dass das besetzte Gebiet unterversorgt ist. Umso unverständlicher ist, dass man dort die westliche Hilfe nicht zulassen will. Teams der Hilfsorganisation wurden schlicht zurückgeschickt. Im frontnahen Gebiet ist die Situation wegen der Unsicherheit besonders schwierig. Auch Krankenhäuser werden dort unter Beschuss genommen und sind schlecht versorgt. Die Bevölkerung in der Pufferzone zwischen ukrainischem und pro-russischem Gebiet ist völlig sich selbst überlassen. Und die Zivilbevölkerung leidet sehr.

Gibt es Anzeichen für eine Lösung des Konflikts?

Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es: Die Beobachter der OSZE sind in den Gebieten unterwegs und können neu auch Büros und Stützpunkte eröffnen. Von diesen aus, können sie immer wieder in die Konfliktzone hinein. Offenbar gibt es auch auf Seiten der Separatisten eine etwas grössere Bereitschaft, Kontrollen zuzulassen. Und man sagt: Überall dort, wo die OSZE sichtbar ist, wird es auch ein bisschen ruhiger.

Das Gespräch führte Roman Fillinger.

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