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Der vergessene Krieg im Jemen Die verkauften Mädchen

Mädchen als Opfer des Krieges: Aus purer Not verkaufen Eltern im Jemen ihre Töchter, um Geld zu kriegen für Medikamente, für Essen, zum Überleben.

Reina war elf Jahre alt, als sie mit ihrem Leben abschloss: «In dem Moment, als ich verheiratet wurde, dachte ich: ‹Das war es, Reina, jetzt ist dein Leben vorbei.›» Nervös knetet die heute 14-Jährige ihre Hände. Hände, die aussehen, als gehörten sie einer 30-Jährigen.

Lange Tradition der Kinderheirat

Es ist ein karger Raum, in dem wir Reina treffen. Mehr Hütte als Haus. Eine Stunde lang sind wir aus Aden herausgefahren, unsere bewaffneten Leibwächter sind immer nervöser geworden, schliesslich ist dieser Teil des Jemens mehr Al-Kaida-Land als gesichertes Regierungs-Terrain.

Hier, in der Abgeschiedenheit ausserhalb von Aden, gehörten Kinderehen schon vor dem Krieg zur jemenitischen Gesellschaft. Die Gründe dafür sind mehrheitlich Armut und uralte Traditionen, wie in vielen Teilen dieser Welt. Doch seit der Krieg tobt, hat die Zahl der verheirateten Mädchen nochmals deutlich zugenommen.

Mit elf Jahren verkauft

Die Zunahme von Kinderehen ist das am wenigsten sichtbare Zeichen der überproportionalen Auswirkung des Krieges auf Kinder. Fast ein Drittel aller zivilen Opfer sind Kinder. Viele Kinder sind verstümmelt. Und eben: Sie werden verheiratet, so wie Reina. «Ich kannte den Mann nicht, den ich heiraten sollte. Er war mehr als doppelt so alt wie ich. Freunde haben meiner Familie erzählt, er sei ein wohlhabender Mann.» Also hat Reinas Vater seine elfjährige Tochter verheiratet. Er hatte das Brautgeld nötig – und ohne Reina ein hungriges Maul weniger zu ernähren.

Reina zog zu ihrem Mann – und erlebte die Hölle auf Erden. «Es wurde mir schnell klar, dass mit meinem Mann etwas nicht stimmte. Er hatte psychische Schwierigkeiten. Immerzu erniedrigte er mich, er verprügelte mich.» Ein Jahr nach der Hochzeit kam Sohn Mohammed zur Welt. «Als mein Mann in einem Wutanfall mich und meinen Sohn töten wollte, beschloss ich: Es ist genug.»

Reina hatte Glück. Sie traf auf Aya Saqaf, eine junge Aktivistin, die gegen Kinderehen ankämpft. «Vor fünf Jahren starb eine meiner besten Freundinnen, als sie Zwillinge gebar. Da beschloss ich zu kämpfen.»

Aya ist selber kaum 20 Jahre alt. Als sie ihren Kampf begann, hätten ihr die Väter die Türe vor der Nase zugeschlagen. Heute sei es ein wenig besser, aber die Armut zwingt viele Familien dazu, ihre Töchter zu verheiraten. «Die Familie einer Braut bekommt Geld für ihre Tochter. Das sind manchmal nicht mehr als 500, 700 Dollar. Dieses Geld ist der Hauptgrund, dazu wird die Familie ein hungriges Maul los, das am Tisch sitzt und essen will.»

Aya half Reina von ihrem Mann wegzukommen. Heute ist Reina geschieden. Doch ein geschiedenes 14-jähriges Mädchen mit einem zweijährigen Sohn hat in der konservativen jemenitischen Gesellschaft kaum eine Zukunft. «Ich hoffe nur, mein kleiner Sohn wird dereinst nicht so werden wie sein Vater. Das ist alles, was ich noch will in meinem Leben.»

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