Zum Inhalt springen
Der Strand von Antalya in der Türkei.
Legende: Die Türkei ist eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen. Keystone

Deutsche Türkeipolitik Neun Gründe, warum Deutschland nicht härter gegen Erdogan vorgeht

Deutschtürken: Drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben in Deutschland, nicht wenige davon sind Anhänger Erdogans. Die seien wichtig für Deutschland, hätten das Land schliesslich mit aufgebaut, sagt Aussenminister Sigmar Gabriel. «Sie wollen und – da bin ich sicher – werden wir nicht verlieren.» Deshalb hoffe man weiter auf bessere Beziehungen zur Türkei.

Betreuung der Gefangenen: Mehr Härte gegenüber der Regierung in Ankara könnte den Zugang zu den inhaftierten Deutschen aufs Spiel setzen. Neun Deutsche sitzen derzeit im Gefängnis, das Auswärtige Amt bemüht sich um konsularischen Zugang. «Ich fände es falsch, wenn man der Türkei im Moment Argumente liefert, uns das auch noch zu verwehren», warnt Justizminister Heiko Maas (SPD).

Tourismus: Die Türkei ist eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen. Das Auswärtige Amt mahnt die Bürger nun zu erhöhter Vorsicht. Solche Reisehinweise sind aber nicht das schärfste Instrument im diplomatischen Besteckkasten – eine offizielle Reisewarnung wäre wesentlich härter. Allerdings geht es dann um eine konkrete Gefahr für Leib und Leben. Eine Warnung würde die Tourismusindustrie empfindlich treffen – auf beiden Seiten.

Nato-Bündnispartner: Seit 1952 schon ist die Türkei Mitglied der Nato. Das türkische Militär ist mit etwa 640'000 Soldaten und zivilen Mitarbeitern eines der grössten der Welt – und wird im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gebraucht.

Bundeswehr: Auch als Stützpunkt deutscher Truppen ist die Türkei noch bedeutsam. Der Bundestag beschloss zwar den Abzug der Bundeswehr vom Militärstützpunkt Incirlik in Richtung Jordanien – ein beispielloser Vorgang. Grund ist das Besuchsverbot für Bundestagsabgeordnete bei den deutschen Soldaten. Auf dem Nato-Stützpunkt in Konya ist die Bundeswehr aber weiterhin stationiert. Auch dort verweigert Erdogan den Parlamentariern derzeit den Besuch.

Verhältnismässigkeit von Sanktionen: Menschenrechtler und Journalisten verhaften ist eine Sache, ein Land zu überfallen eine andere. Nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 und wegen der Militärhilfe für prorussische Separatisten in der Ostukraine beteiligt sich Deutschland an den EU-Sanktionen gegen Moskau. Für die Türkei sind solche Strafmassnahmen aber noch nicht geplant.

EU-Beitritt: Die Türkei ist seit 1999 Kandidat für einen EU-Beitritt, seit 2005 wurde darüber konkret verhandelt. Im November 2016 fordert das EU-Parlament, die Beitrittsgespräche mit Ankara einzufrieren. Die EU erklärt bald darauf, die Gespräche würden vorerst nicht ausgeweitet. Würde die Türkei beitreten, wäre sie zwar der ärmste, aber nach Einwohnern der zweitgrösste Mitgliedstaat. Ziel war es, die Türkei durch die Beitrittsverhandlungen enger an den Westen und Europa zu binden. Diese Hoffnung ist derzeit weitestgehend erloschen – auch weil der Beitritt für Erdogan nicht mehr wichtig ist.

Flüchtlingsabkommen: Durch den EU-Türkei-Flüchtlingspakt hat das Land zusätzliches politisches Gewicht erhalten. Seit Beginn des Syrienkriegs nahm die Türkei nach eigenen Angaben 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge auf. Ankara droht immer wieder damit, die Kooperation mit der EU aufzukündigen. Kanzlerin Angela Merkel hat aber kein Interesse daran, dass Erdogan wieder massenhaft Migranten gegen Deutschland weiterziehen lässt – schon gar nicht im Wahlkampf.

Brücke in den Osten: Die Türkei gilt als Schlüsselstaat und Brücke zwischen Europa und Asien. Als Nachbarstaat von Griechenland und Bulgarien auf der einen Seite, Syrien, dem Irak und dem Iran auf der anderen Seite liegt das Land zwischen der EU-Aussengrenze und den Konfliktgebieten des Nahen und Mittleren Ostens. Durch eine härtere Gangart befürchtet die Bundesregierung, die Türkei könnte gegen Osten abdriften – vor allem Richtung Russland.

Meistgelesene Artikel