Die Shoppingmeile Kö in Düsseldorf: Königlich ist die Allee, königlich sind auch die Preise. Düsseldorf ist die Modestadt in einer einkommensstarken Region. Die Stadt bietet 1400 Textileinzelhandelsfirmen ein Quartier, darunter sind viele nordrhein-westfälische Institutionen wie Gerry Weber, Bugatti, Peek und Cloppenburg.
Dieses Jahr belohnt der miese Frühling die Schnäppchenjägerinnen. Wer wissen will, wie der Bekleidungshandel läuft, erfährt das im Fashion House. Hier haben sich Hersteller für den Fachhandel eingemietet. Melanie Lochner macht modisch keine was vor. Sie ist im Bereich Mode-Marketing tätig: «Ich habe knall-orangefarbene Lederpumps an, ein dunkelblaue Hose mit orange-weissen Rauten, einen weissen Blaser und ein dunkelblaues Top. Dazu habe ich orange Fingernägel und gold-orange Accessoires an Hals und an den Armen.»
Entspannt angezogen nennt sie es, und entspannt blickt sie auch der Zukunft der Branche entgegen. An der Berliner Fashion Week läuft zwar die coole Show, aber der Grossteil des 12-Milliarden-Euro- Geschäfts wird am Rhein gemacht – vor allem mit dem Ausland. «Der osteuropäische Markt ist so stark. Wenn Sie an Steilmann denken: Die haben allein 70 Kunden, die immer in einer Gruppe kommen. Sie haben hier fast nur internationales Publikum», sagt Lochner. Steilmann, das ist eines der Modelgeschäfte im Fashion House.
Gewohnte Qualität halten
Exportiert wurde in den letzten 20 Jahren auch die Produktion der deutschen mittelständischen Textilindustrie – auch die Strickware von Claudia Fleuchaus. Sie verkauft schon die Kollektion Sommer 14: «Die Produktion ist in Hongkong. Wir produzieren nicht in Bangladesch oder Indonesien. Wir müssen den Standard halten, den der Kunde von uns gewohnt ist. Jetzt kommt noch der ganze soziale Aspekt dazu», sagt Fleuchaus.
Die Bekleidungsindustrie hat kaum mehr gewerbliche Arbeitsplätze in NRW. Die Abteilungen Entwurf, Kontrolle und Vermarktung bleiben hier. Das sind nur einige Hundert Arbeitsplätze.
Neues und Fremdes ausprobieren
Besonders deutlich wird der Strukturwandel in Wuppertal, der Wiege der Industrialisierung. Färbereien, Flechtereien, Zwirnereien gibt es jetzt nur noch auf der Baudenkmalliste. Die Arbeitsplätze waren nicht geschützt. 50'000 waren es mal, jetzt sind es noch 3000.
Und doch ist die deutsche Textilindustrie immer noch stark. Peter vom Baur führt durch seinen Betrieb. Was einst mit Bändern für Hüte begonnen hatte, hat jetzt mit Bekleidung nichts mehr zu tun. Das Zauberwort heisst technische Textilien.
Er führt den mittelständischen Betrieb in der siebten Generation und sagt: «Das muss ich neidlos meinem Grossvater und Vater zugestehen. Sie haben erkannt, als die Hutmode nach dem Krieg einbrach: ‹Wir müssen was anderes machen. Mein Vater hat konsequent den Weg in die technischen Textilien beschritten.›» Man lasse sich auch heute noch auf Neues und Fremdes ein und probiere einfach aus, sagt vom Baur.
«Teilweise dilettantisch»
Mit rund 70 Angestellten macht vom Baur Bänder und Gurte aus Hochleistungsfasern, nahtlose Schläuche für Filter, carbonhaltiges Schmalgewebe für die Chirurgie. In der Spezialisierung steckt die Zukunft. Die Hälfte der Produktion geht in die ganze die Welt. Vom Baur ist nicht einer Branche ausgeliefert, hat keinen Knebelvertrag mit der Automobilindustrie, der man sämtliche Rechte abtreten muss. Er sagt: «Wir haben in Deutschland tolle grosse Marken. Wenn man mit denen zu tun hat, ist man entsetzt, wie dort gearbeitet wird. Teilweise dilettantisch.»
Durch strategische Einkäufer bekäme man zu verstehen, dass man austauschbar sein müsse. Man werde nicht namentlich angesprochen, um klar zu machen, dass man nur ein Lieferant von vielen sei.
Bloss keine Mindestlöhne
Und wie sieht es mit den Löhnen aus? Die Textilindustrie liegt ganz weit hinten. «Wir haben einzelne Betreibe, die deutlich unter 14 Euro bezahlen. Das sind Bereiche, bei denen man eine Familie nicht mehr vernünftig ernähren kann», sagt vom Baur.
Die Angestellten sind schlecht organisiert und durch den Arbeitsplatzverlust eingeschüchtert, heisst es bei der IG Metall. Internationale Vorwürfe von Wettbewerbsvorteilen durch deutsche eine Billiglohn-Politik lässt Peter vom Baur nicht gelten: «Wir liegen deutlich über Branchendurchschnitt.» Und dann erzählt er doch von schwarzen Schafen. In der Branche hätten es einige Unternehmen versäumt, nach der Krise grosszügiger zu sein bei guten wirtschaftlichen Bedingungen.
Vom Baur könne sich für seine hochspezialisierte Produktion keine schlecht ausgebildeten Arbeitskräfte leisten. Abgesehen von wenige Stellen in der Verpackung. Er bildet selbst Fachkräfte aus, und die erhalten bis zu 20 Euro. Beim dem im Wahlkampf geforderten Mindestlohn von 8,50 Euro winkt er ab. «Ich halte nichts vom Mindestlohn. Wir beschäftigen manchmal auch Menschen, die die deutsche Sprache nicht oder nur wenig beherrschen. Sie sind so wenig produktiv; wenn man ihnen mehr zahlen würde, würde der Arbeitsplatz wegfallen.»
Kein Blick zurück
Peter vom Baur schaut optimistisch in die Zukunft. Der Industriestandort Deutschland ist robust. Und einer wie er hat ohnehin nichts zu fürchten, denn er probiert ständig neue Produkte aus. «Es gibt Leute, die uns deswegen verlassen haben. Der Standort Deutschland oder Europa braucht die Spezialisierung oder eine Massenproduktion, um mit einer grossen Serie die Mitbewerber zu dominieren.» Ein Mittelweg sei wenig erfolgversprechend.
Konsequent nach vorne orientiert, ist die ehemalige Hutbandfabrik. Denn die alten Zeiten kommen nicht wieder. Nur die schnelllebige Modewelt leistet sich ab und an den Blick zurück.