Jürgen Trittin ist alles andere als ein scheuer Mensch. Wenn er eine Konfrontation für nötig hält, dann geht er genüsslich in den verbalen Nahkampf. Wenn er was zu sagen hat, dann tut er das mit voller Stimme. Nicht so heute Morgen. Er habe mehrfach gesagt, dass es in der Gründungsphase der Grünen falsche Forderungen gegeben habe, sagte Trittin und klang dabei kleinlaut. «Forderungen, die auch und gerade im Umgang mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern erhoben worden sind.»
Gerüchte seit Monaten
Der Spitzenkandidat muss sich rechtfertigen. Seit Monaten kursieren Geschichten aus der Gründungszeit der Grünen zu Beginn der Achtzigerjahre. Damals haben sich diese – wie auch Teile der FDP, Wissenschaftler, Schwulenorganisationen und andere – dafür eingesetzt, dass sexuelle Beziehungen zu Minderjährigen, die im Konsens erfolgen, nicht oder nur reduziert unter Strafe gestellt werden.
Die Grünen haben diese äusserst fragwürdige Position erst gegen Ende der Achtzigerjahre revidiert. Das alles seien unverzeihliche Fehler gewesen, sagen die Grünen seit Monaten, sie haben deswegen selber eine unabhängige Untersuchung über all diese Vorgänge eingeleitet um diese Fehlentwicklungen zu Beginn ihrer Parteigeschichte aufzuarbeiten.
Franz Walter, der untersuchende Professor, ist nun ausgerechnet derjenige, der in der linken «tageszeitung» berichtete, Jürgen Trittin selber sei vor 32 Jahren für einen Artikel verantwortlich gewesen, in dem Forderungen nach Straffreiheit gestellt worden seien.
Ein gefundenes Fressen für die Gegner der Grünen eine Woche vor der Bundestagswahl. Der CDU-Politiker Philipp Missfelder wartete nicht lange. «Herr Trittin soll sich überlegen, ob er der Richtige ist für die Führungsaufgabe bei den Grünen», forderte er. Eine Rücktrittsforderung an den gegnerischen Spitzenkandidaten eine Woche vor der Wahl.
Darauf werden die Grünen zwar nicht eingehen, aber diese Geschichte trifft sie im ungelegensten Moment. Seit Wochen sinken ihre Umfragewerte, welche zuvor fast unverrückbar um rund 15 Prozent herum gelegen hatten. Jetzt liegen sie unter zehn. Die Landtagswahl in Bayern brachte mit 8,6 Prozent ein schlechtes Ergebnis.
Die Untersuchung geht nach hinten los
Am Tag danach wollte man sich Mut zureden, Durchstart-Parolen für die letzte Wahlkampfwoche ausgeben – und nun diese Geschichte zum wohl unappetitlichsten aller Themen.
Das Bemühen der Grünen, mit der Untersuchung von Professor Walter Transparenz zu schaffen, wendet sich jetzt gegen sie selber – gleich wie ihr Bemühen nach Ehrlichkeit im Wahlkampf. Die Grünen fordern Steuererhöhungen für die Reichen, es kämen enorme Investitionen auf das Land zu, die müsse man finanzieren und das ehrlicherweise schon vor der Wahl bekennen. Und genau das, die Forderung nach Steuererhöhungen, hatte zum Einbruch in ihren Umfragewerten geführt.
Die Steuerhöhungspartei hat jetzt auch noch ein Pädophilie-Etikett. In einer Woche wird sich das kaum entfernen lassen. Damit tendieren die Chancen für eine rot-grüne Koalition nächsten Sonntag noch näher gegen null.