Zum Inhalt springen

Deutschlands Altkanzlerin Angela Merkel, der Rückzug und die Männer im Opel Corsa

Der kleine Opel Corsa der Berliner Polizei steht immer noch da. Seit Jahren bewachen die Beamten darin den Hauseingang von Angela Merkel, der ehemaligen Kanzlerin. Das ist fast das einzige Lebenszeichen einer Frau, die 16 Jahre lang jeden Tag in der Öffentlichkeit stand – und jetzt viel Zeit in ihrer Wohnung in Berlin-Mitte verbringt. Oder in ihrem Häuschen in der Uckermark.

Als in Berlin zu Beginn der Woche Wolfgang Schäuble gedacht wurde, im Dom und dann im Bundestag, war sie plötzlich wieder da. Im schwarzen Anzug, mit perfekter Frisur. Ein freundliches Lächeln hier, eines da – guten Tag, Frau Bundeskanzlerin! Sie grüsst zurück, es ist ein bisschen wie früher.

Merkel macht nicht nichts

Doch im Alltag herrscht fast Funkstille. Merkel hat ihren Rückzug immer angekündigt – nach ihrer Zeit in der Politik wolle sie sich ins Private zurückziehen. Das haben vor ihr schon viele versprochen – und dann waren sie doch immer wieder als Altkanzler in den Medien, ein guter Tipp hier, ein Ratschlag da. Man sollte, man müsste, ich hätte. Angela Merkel tut das nicht, sie kommentiert die aktuelle Politik nicht. Lehnte das Ehrenpräsidium der CDU, ihrer Partei, ab – anders als zum Beispiel Konrad Adenauer oder Helmut Kohl. Sie verliess die Konrad-Adenauer-Stiftung, den einflussreichen Thinktank der Christdemokraten. Und auf die Zusage für eine Feier ihres 70. Geburtstags im Juli wartet die CDU immer noch.

Doch natürlich tut Angela Merkel nicht nichts. Sie schreibt an ihrer Biografie, die im Herbst erscheinen soll. Veröffentlicht wird das Werk im «Aufbau-Verlag», der seine Wurzeln in der DDR hat. Die Grossverlage scheiterten alle mit dem Wunsch, sich die Rechte für die Merkel-Biografie zu sichern. Merkel geht auch da ihren eigenen Weg, sie ist ja nicht Barack Obama oder Britney Spears. Man darf sehr gespannt sein, wie die deutsche Altkanzlerin auf ihre 16 Jahre als Regierungschefin blickt.

Das Verhältnis zu Wladimir Putin zum Beispiel und den damaligen Plan, die deutsche Wirtschaft mit billigem Gas aus Russland und damit grosser Wertschöpfung zur Exportweltmeisterin zu machen. Oder die Bauern: Dass sie heute demonstrieren, hat viele Gründe, die in der Ära Merkel zu suchen sind. Bürokratie, Reglementierung, all das haben auch Merkels Landwirtschaftsminister nicht vereinfacht – ausbaden muss es jetzt Olaf Scholz, seit zwei Jahren der Chef im Kanzlerbüro im siebten Stock der Regierungszentrale mitten in Berlin.

Eine Aussage half der AfD

Oder Merkels Satz «Wir schaffen das». Als Chefin einer christlichen Partei, als Pfarrerstochter, machte Merkel ihr Herz auf und damit das Land für Flüchtlinge aus dem fürchterlichen Krieg in Syrien. Die Geste brachte ihr viel Respekt ein – und machte aus der fast bis zur Bedeutungslosigkeit geschrumpften «Alternative für Deutschland» eine heute 20 Umfrageprozente starke Partei – im Osten liegen die Werte deutlich höher. Die grosse Geste von damals ist für viele zur Hypothek geworden.

Das Wirken Merkels also hat noch heute in unzähligen Bereichen Einfluss auf die Menschen in Deutschland. Kanzler Scholz oder Vizekanzler Habeck: Sie verweisen gerne auf die Versäumnisse der Merkel-Zeit, welche das Regieren heute nicht einfacher machen würden. Und auch in der CDU ist mancher gar nicht so unglücklich, dass die ehemalige Chefin auf Tauchstation lebt. Ob sie in aktuellen Wahlkämpfen eine Lokomotive wäre, das bezweifeln viele.

So gesehen sind nicht wenige nur wenig unglücklich, wenn Merkel zu Hause bleibt und ihr Buch schreibt – bewacht von den Männern im Opel Corsa.

Stefan Reinhart

Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Stefan Reinhart ist Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und Chef vom Dienst im Newsroom Zürich. Zuvor war er Deutschland-Korrespondent für SRF.

Hier finden Sie weitere Artikel von Stefan Reinhart und Informationen zu seiner Person.

Echo der Zeit, 22.01.2024, 18:00 Uhr

Meistgelesene Artikel