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International «Die Aufhebung des Kopftuchverbots war für die Wähler wichtig»

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyib Erdogan ist mit seiner Partei bei den Kommunalwahlen der grosse Sieger. Zwar steht er wegen Korruptionsvorwürfen und Einschränkung des Internets in der Kritik. Doch die digitalen Kanäle sind seinen Wählern egal, sagt Journalist Thomas Seibert im Gespräch.

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Gespräch mit Thomas Seibert, Journalist in Istanbul
aus SRF 4 News aktuell vom 31.03.2014.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 34 Sekunden.

SRF: Haben Sie den Eindruck, dass die Kritik an Erdogan einfach abprallt?

Thomas Seibert: Für viele, die Erdogan gewählt haben, sind die Korruptionsvorwürfe und diese Verbote von Twitter und YouTube völlig unerheblich. Für die Stammwählerschaft Erdogans geht es um wirtschaftliche Erfolge in den vergangenen Jahren. Auch kamen für die islamisch-konservativen Kreise Fortschritte zu Stande. Zum Beispiel die Abschaffung des Kopftuchverbots im öffentlichen Dienst. Das sind die wichtigen Dinge, die für seine Wähler zählen.

Hat er mit diesem Sieg seine Politik legitimiert?

Aus seiner Sicht schon. In der Nacht hat er gesagt, alle Vorwürfe seien mit dem Wahlsieg seiner Partei vom Tisch. Er sieht deshalb überhaupt keinen Grund, auf seine Kritiker zuzugehen.

Wie haben die Türken, die anderer Meinung sind, auf das Wahlresultat reagiert?

Die Opposition ist noch etwas geschockt.

Thomas Seibert

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Der Journalist Thomas Seibert ist USA-Korrespondent des «Berliner Tagesspiegels». Zuvor berichtete er während 20 Jahren für verschiedene Zeitungen und Radiosender aus der Türkei.

Die Opposition ist noch etwas geschockt. Sie hatte sich angesichts der ganzen Vorwürfe gegen Erdogan mehr ausgerechnet. Es gibt immer noch Unklarheit, was das Wahlergebnis in Ankara angeht. Dort hat möglicherweise die Opposition gewonnen. Das wäre ein Teilerfolg für die Gegner.

Ansonsten ist zu beobachten, dass viele Kritiker von Erdogan am Morgen besonders über angebliche Wahlmanipulationen seitens der Erdogan-Partei klagen. Da ist die Rede von verschwundenen Wahlzetteln oder manipulierten Auszählungsergebnissen in einigen Wahllokalen. Eine Auseinandersetzung mit den politischen Gründen dieses Wahlergebnisses hat seitens der Opposition noch nicht begonnen.

Wie glaubhaft sind die Korruptionsvorwüfe?

Es gibt sie bei jeder Wahl in der Türkei. Bisher hat sich das System als einigermassen stabil erwiesen. Bei der Auszählung der Stimmen sind alle Parteien zugelassen, Vertreter aller Parteien können selbst mitzählen. Genau deshalb kommen nun diese Unregelmässigkeiten in den Bezirken zum Vorschein. Wahlzettel sollen verschwunden sein. In anderen Bezirken gab es rätselhafte Stromausfälle in der Nacht, dadurch wurde die Auszählung behindert. Die Wahlbehörde hat sich noch nicht zu den Vorfällen geäussert. Von seiten der Behörden gab es keine grösseren Unregelmässigkeiten.

Erdogan will sich ja zum Staatspräsidenten wählen lassen…

Auf dem Papier steht dem nichts mehr im Wege. Erdogan hat vor der Wahl gesagt, seine Präsidentschaftsambitionen hingen eng mit dieser Kommunalwahl zusammen. Das heisst, Erdogan wird möglichweise erstmal zu Kenntnis nehmen, wie es in seiner Parteibasis aussieht. Er is ein scharfer Redner, der die Gegner unablässig angreift. Das ist sehr gut für einen Ministerpräsidenten, der seine eigenen Wähler um sich scharren will. Aber für einen Staatspräsidenten, der über der Politik stehen sollte, ist das nicht angemessen. Diese Meinung ist offenbar auch im AKP-Lager verbreitet.

Werden seine Kritiker verstummen, nachdem sie eine Niederlage erlitten haben?

Nein, die politischen Spannungen in der Türkei werden weitergehen. Sie werden möglicherweise auch weiter eskalieren. Erdogan hat in seiner Siegesrede bereits angekündigt, dass er hart gegen die Bewegung des islamischen Predigers Fethulla Gülen, den er als Drahtzieher von allen Verschwörungen sieht, vorgehen wird. Erdogan persönlich hat schon Strafanzeige gegen den Chefredaktor einer Gülen-nahen Tageszeitung erstattet. All das deutet darauf hin, dass sich die Gegensätze noch weiter verschärfen werden. Man darf ja nicht vergessen, dass man in der Türkei vom einen Wahlkampf in den nächsten rutscht. Ab heute ist Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl im August. Und das sind keine Zeiten für Verständigung.

Das Gespräch führte Karin Britsch.

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