Was heisst schon westlich? Strategeast, eine Organisation, die sich für engere Beziehungen zwischen den politischen und vor allem den wirtschaftlichen Eliten in Ost und West einsetzt, hat dafür Kriterien definiert. Sie reichen von den Methoden zur Korruptionsbekämpfung bis zu Praktiken im Geschäftsleben, von der kulturellen Verknüpfung über die Unabhängigkeit der Justiz bis zu Fragen des Lebensstils.
Am Ende ergibt das eine Rangierung: Den ersten «Westernisierungs-Index». Beurteilt wurden 14 frühere Sowjetrepubliken, ausser Russland. «Unter diesen Ex-Republiken gilt einzig Estland als weitgehend westlich», sagt Anatoly Motkin, der Gründer und Präsident von Strategeast.
In geringerem Mass westlich sind die beiden anderen baltischen Staaten, Litauen und Lettland. Deutlich abgeschlagen sind Moldawien und die Ukraine. Die Kaukasus-Republiken, etwa Armenien und Aserbaidschan figurieren sogar erst im hinteren Mittelfeld.
In Turkmenistan und Tadschikistan hat die sowjetische Mentalität noch weitgehend überlebt.
Überhaupt nicht westlich sind Turkmenistan oder Tadschikistan. Sie bleiben autoritär regierte Festungen: «In diesen Ländern hat die sowjetische Mentalität noch weitgehend überlebt.» Sowjetische Spuren davon fänden sich jedoch selbst in Ländern noch, die heute der EU angehören.
Westlich nur, wenn es ums Geld geht?
Interessant ist: Wirtschaftlich wollen sich diese Länder, vor allem die Unternehmer dort, zum Teil auch die Machthaber durchaus dem Westen annähern – der Wohlstand lockt. So ist etwa die Eigentumsfreiheit attraktiv.
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder Medienfreiheit gelten in den meisten Ex-Sowjetstaaten als suspekt. «Manche finden das politisch autoritäre, aber wirtschaftlich erfolgreiche chinesische Modell vorteilhafter, andere wiederum die streng gelenkte Demokratie Singapurs», führt Motkin aus.
Die Passivität des Westens
Schuld daran, dass viele Ex-Sowjetrepubliken nicht ins westliche Lager gewechselt haben, sei aber der Westen auch selber. «Man hat zu sehr geglaubt, das passiere automatisch. Man hat zu wenig dafür getan», sagt Motkin.
Dem Westen fehlten eine klare Strategie und das Bewusstsein, dass es sich um einen jahrzehntelangen Prozess handelt, den man aktiv fördern muss. Und: Man setzte allzu oft auf einzelne Personen, vor allem auf Spitzenpolitiker, und übersah, dass stabile Institutionen weitaus wichtiger wären, um nachhaltig etwas zu bewirken.
Die Mächtigen in all diesen Ländern halten zwar viel von Immobilien in London, Ferien an der Côte d'Azur und westlichen Produkte.
Im Grund blendete man aus, dass die Sowjetunion nicht auseinanderbrach wegen der fehlenden Pressefreiheit, sondern weil die Regale in den Läden leer waren.
Motkin bezweifelt, dass die Machthaber, mancherorts Diktatoren von sich aus umsteuern: «Die Mächtigen in all diesen Ländern halten zwar viel von Immobilien in London, Ferien an der Côte d'Azur und westlichen Produkte.» Politisch aber bevorzugten sie ihr eigenes System.
Umdenken bei der jungen Generation?
Motkin glaubt ebensowenig in erster Linie an die Kraft von Menschenrechtsorganisationen und anderen NGOs. Dennoch ist er mittelfristig zuversichtlich. Veränderungen werden von der Jugend in diesen Ländern ausgehen, von jungen Leuten in all diesen Ländern, die immer stärker international vernetzt sind mit Gleichaltrigen in westlichen Ländern.
«Westlich» aus Pragmatismus
«Sie verstehen sich schon heute als Teil eines gemeinsamen globalen Systems», sagt Motkin. Er nennt als Beispiel Weissrussland. Das Land figuriert zwar auf der «Westernisierungs-Rangliste» weit hinten. Dennoch werde dort heute schon für fast eine Milliarde Dollar Informationstechnologie exportiert.
Die postsowjetische Phase werde nicht deswegen überwunden werden, weil der Westen ein leuchtendes Vorbild sei. Auch nicht aus politethischen oder moralischen Gründen. Sondern aus einem praktischen Grund: Totalitäre Regime und Praktiken sind einfach ineffizient.