Das Wichtigste in Kürze
- Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel traf heute in Ankara den türkischen Staatspräsidenten Recep Erdogan. Sie will das Flüchtlings-Abkommen mit der Türkei auffrischen.
- Merkel mahnte bei Erdogan die Einhaltung der Meinungsfreiheit ein.
- Erdogan verteidigte beim Treffen das geplante Präsidialsystem in der Türkei.
In der entscheidenden Phase der Aufarbeitung des gescheiterten Putschversuchs vom vorigen Juli sei es laut Merkel wichtig, dass die Meinungsfreiheit und die Gewaltenteilung in der Türkei eingehalten werde. «Opposition gehört zu einer Demokratie dazu», sagte die deutsche Bundeskanzlerin nach einem zweieinhalbstündigen Gespräch mit Erdogan in Ankara.
Merkel sprach sich dafür aus, dass der geplante Volksentscheid über die Verfassungsänderung zur Machterweiterung des Präsidenten von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) begleitet wird.
Geringer Nutzen
Die Präsenz einer OSZE-Mission werde wahrscheinlich nicht viel bringen, meint Ruth Bossart, SRF-Korrespondentin in Istanbul. Denn dies ändere nicht viel an der Grundproblematik – der fehlenden Meinungsvielfalt im Lande. «Die Problematik hat sich in den letzten Monaten noch stark zugespitzt. Rund 80 Prozent der Türken, die an die Urne können, haben gar keine genaue Ahnung, worum es bei diesem Referendum geht. Dies, weil das Referendum nicht kontrovers diskutiert wird, diskutiert werden kann. Und das ist verheerend. Einen solchen Umstand kann eine OSZE-Delegation natürlich notieren, aber mehr nicht.» |
Erdogan verteidigte beim Treffen die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei. Von einer Aufhebung der Gewaltenteilung, wie von der Opposition befürchtet, könne keine Rede sein, sagte er. Im April steht eine Volksabstimmung über die höchst kontroverse Verfassungsänderung an. Die türkische Opposition wirft Merkel vor, mit ihrem Besuch zum aktuellen Zeitpunkt Wahlkampfhilfe für Erdogan zu leisten.
Die Hauptthemen des Gesprächs waren der Kampf gegen den Terrorismus, die Flüchtlingskrise und mögliche Schritte in Syrien. Erdogan betonte, dass der Besuch Merkels wichtig für die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sei. Vor allem in der Terrorbekämpfung seien Zusammenarbeit und «Solidarität» unter Nato-Partnern wichtig.
Merkel hob ihrerseits hervor, dass in der Flüchtlingsfrage die Türkei Aussergewöhnliches geleistet habe für die Integration der 2,7 Millionen syrischen Flüchtlinge im Land. Das im vergangenen März geschlossene EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei sei in beiderseitigem Interesse, sagte Merkel. «Wir sind aber noch nicht am Ende der Umsetzung.» Sie sicherte zu, dass die vereinbarten Hilfen rasch ausgezahlt werden.
Merkel erneut in der Türkei
Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei hat für Merkel eine grosse Bedeutung, so Ruth Bossart, SRF-Korrespondentin in Istanbul: «Seitdem die Balkanroute geschlossen ist und der Flüchtlingsdeal geschlossen wurde, sind die Ströme Richtung Europa, insbesondere Deutschland, versiegt. Nun hat die Türkei in den letzten Monaten mehrfach gedroht, diesen Deal aufzukünden. Und wenn diese Drohung wahr gemacht würde, wäre dies verheerend für Angela Merkel, insbesondere auch innenpolitisch. Darum ist mit den regelmässigen Aufwartungen, die sie hier in der Türkei macht, sicher auch die Hoffnung verbunden, dass alles beim Alten bleibt, dass der Gesprächsfaden nicht abreisst und der Flüchtlingsdeal nicht plötzlich kollabiert.» |
Warnung vor Bespitzelungen in Deutschland
Kanzlerin Angela Merkel warnte die Türkei zudem vor der Bespitzelung von Anhängern des Predigers Fethulla Gülen in Deutschland. «Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass es dort Bespitzelungen gibt, sondern der deutsche Rechtsstaat geht gegen Rechtsverletzungen vor», sagt sie nach dem heutigen Treffen mit Erdogan. Die Türkisch-Islamische Anstalt für Religion (Ditib) soll Anhänger Gülens in Deutschland bespitzelt haben.
Der Besuch fand vor dem Hintergrund starker Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei statt. Ankara wirft der deutschen Regierung unter anderem mangelnde Solidarität vor und beschuldigt sie, den Anhängern des Predigers Fethullah Gülen Zuflucht zu gewähren. Die türkische Regierung macht den im US-Exil lebenden Gülen für den Putschversuch vom Juli verantwortlich. Zudem wirft Ankara Berlin vor, die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) frei gewähren zu lassen.
Die deutsche Regierung ist besorgt über die Repressionen sowie die Verfolgung kritischer Medienleute und der kurdischen Opposition. Mehr als 120'000 Staatsangestellte wurden nach dem Putschversuch entlassen und rund 40'000 Menschen inhaftiert.