Die Schimpfwörter, die jetzt kommen, kann man im Radio nicht auf Deutsch übersetzen – zu wüst beschimpft der Jäger den Tierschützer. Das Internet-Video haben Tausende Polen gesehen. Da ist ein Mann, offensichtlich ein Jäger, in einem verschneiten Wald. Er fuchtelt mit seinem Gewehr und schreit. Der Filmer, der vor ihm steht, spricht von einer «illegalen» Jagd.
Er meint die Jagd auf Wildschweine. Kurz vor Neujahr haben polnische Jäger eine SMS bekommen vom Umweltministerium: Es brauche eine grosse, koordinierte Jagd auf Wildschweine. Das Ziel: die afrikanische Schweinepest (ASF) eindämmen.
Über 200'000 Tiere will man schiessen bis im Frühling. Zehntausende mehr als in früheren Jahren, fast die ganze Population. Über 200 Franken bekommt ein Jäger für ein totes Weibchen. Der polnische Umweltminister Henryk Kowalcyk sagt, die Jagd sei nötig.
Klar ist: Die Schweinepest breitet sich aus in Osteuropa. Sie ist für Menschen ungefährlich, für Schweine aber tödlich. Und wenn sie grassiert, können die Bauern ihr Fleisch nicht mehr exportieren.
Jäger verweigern den «Schiessbefehl»
Man müsse verhindern, dass die Tiere umherwandern und so die Krankheit verbreiten, sagt der Minister. Dafür wandern jetzt Menschen in die Wälder. Halb Polen ist empört – überall heisst es, man müsse die Jäger aufhalten. 250'000 Leute haben eine Petition unterschrieben gegen die Jagd. Jäger weigern sich öffentlich, dem «Schiessbefehl» zu folgen.
Und in Warschau haben sich Hunderte vors Parlament gestellt und singen: 100 Jahre sollen sie leben, die Wildsäue. Ebenfalls schon lange versucht die polnische Politik, die Schweinepest loszuwerden. Ideen gab es viele; darunter ein Grenzzaun, Drohnen, Armeeeinsätze. Stattdessen nun also die grosse Jagd – auch die EU hat Polen dazu ermutigt.
Die meisten Fachleute und Wissenschaftler aber sind entsetzt, zum Beispiel Tomasz Zdrojewski von der Tierschutzorganisation «Lass sie leben». Am polnischen Fernsehen sagt er, die Jagd bewirke genau das Gegenteil: Sie führe zu einer Ausbreitung der Schweinepest. Denn viele blutige Kadaver blieben im Wald liegen, weil die Menge schlicht zu gross ist. Und so steckten sich noch mehr Tiere an. Oder die Bauern sammelten sie ein, weil sie dafür Geld bekämen – und infizierten so ihre Hausschweine.
Ein Geschenk für die Bauern
Überhaupt, die Hausschweine beziehungsweise ihre Halter, die Bauern: Sie sind für viele Fachleute das Hauptproblem, nicht die Wildschweine. Die meisten polnischen Bauern foutierten sich um Regeln im Kampf gegen die Schweinepest, schmissen etwa ihre der Krankheit erlegenen Hausschweine einfach in den Wald – das hat sogar der polnische oberste Rechnungshof festgestellt.
Und so haben viele Polen einen Verdacht: Es geht der konservativen Regierung gar nicht in erster Linie um die Schweinepest. Es geht darum, den Bauern – wichtigen Wählern – ein Geschenk zu machen. Und zwar im Kampf gegen die verhassten Wildschweine, die Felder verwüsten. Dieses Jahr sind Wahlen in Polen.