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Die Tsunami-Katastrophe 2004 «Eine Welle voller Strandmöbel rollte auf uns zu»

Das Ehepaar Bardos kommt in Khao Lak gerade vom Frühstück, als die Monsterwelle über die Hotelanlage hereinbricht. Den beiden bleiben nur Sekunden, um zu reagieren. Sie laufen los – in verschiedene Richtungen.

Es ist kurz vor 10 Uhr in Khao Lak, als Ivan Bardos mit seiner Frau das Hotelgelände durchquert. Plötzlich eilen mehrere Hotelangestellte schreiend vom Strand her auf sie zu. «Im ersten Moment dachte ich an irgendein Spiel», beschreibt er die Situation. «Im nächsten Moment realisierte ich, dass hinter den Angestellten eine dreieinhalb Meter hohe Welle auf uns zurollt, voller Unrat und Strandmöbel.»

Das Paar rennt sofort los, weg vom Meer, zwischen den Bungalows hindurch. Dann bemerkt Ivan Bardos, dass seine Frau nicht mehr bei ihm ist. Doch es ist bereits zu spät: Die Fluten drängen überall hin und steigen stetig an. Auch Rufen ist zwecklos – das Getöse übertönt alles.

«Unaufhörlich Wasser, Wasser, Wasser»

Ivan Bardos erinnert sich daran, dass die Hotelrezeption leicht erhöht auf einer Rampe liegt. Vielleicht genug hoch, um sich in Sicherheit zu bringen. Er erreicht die Rampe gerade noch, ohne nass zu werden. Dann blickt er zurück. «Ich staunte, wie viel Wasser kommt. Unaufhörlich Wasser, Wasser, Wasser.»

Als sich das Wasser zurückzieht, beginnen die Hotelangestellten, die Leichen zusammenzutragen. Ivan Bardos sucht jetzt verzweifelt nach seiner Frau – auch unter den Leichen. Er kann nichts Vertrautes erkennen. Aufatmen. Dann wieder Fassungslosigkeit ob des Dramas, das sich vor seinen Augen abspielt. Zwischendurch kurze Momente der Panik. Seit dem Tsunami sind etwa 45 Minuten vergangen.

Plötzlich sieht er, etwa zweihundert Meter in der Ferne, jemanden winken. Eine ihm unbekannte, mit Schlamm überdeckte Person. Die Person winkt unaufhörlich und kommt auf ihn zu. Sie hat ihre Handtasche um den Hals gehängt. Da erst erkennt Ivan Bardos seine Frau.

Viele verloren ihre Kinder

Sie ist vom Wasser weggespült und auf dem Parkplatz hinter dem Hotel an eine Palme gepresst worden. Auch sie hatte unglaubliches Glück. An dem Baum konnte sie sich trotz reissender Strömung festhalten. Als der Wasserpegel stieg, kletterte sie auf die Palme. Leichen und Trümmer zogen an ihr vorbei. Eine Frau paddelte auf einem Surfbrett vorbei und schrie nach ihrem Baby. Ein Thai half ihr schliesslich wieder von der Palme herunter. Ivan Bardos' Frau brauchte später lange, um nicht mehr von diesen traumatischen Erlebnissen verfolgt zu werden.

Er selbst hat ebenfalls tragische Schicksale erlebt. «Zwei Ehepaare, ich glaube es waren Australier, hatten ihre erst wenige Monate alten Babys verloren», erinnert er sich. «Ich wüsste nicht, wie man diese Leute trösten könnte. Diese Verzweiflung. Der Schmerz.» 14 Hotelangestellte und 15 Gäste waren tot.

Jahrmarkt der Emotionen

Die Überlebenden werden mit den noch fahrtüchtigen Fahrzeugen in einen buddhistischen Tempel 30 Kilometer landeinwärts in Sicherheit gebracht. Dort beginnen die Leute, die Geschehnisse zu verarbeiten.

Tsunami 2004

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«Es kam mir vor wie auf einem Jahrmarkt der Emotionen», sagt Ivan Bardos. Jeder erzählte seine Geschichte. Zuerst dem linken Nachbar, dann dem rechten, dann den Personen vorne und hinten. «Alle versuchten, sich ihre Geschichten vom Leib zu reden.» Das sei auch für ihn das probate Mittel gewesen, um das Erlebte loszuwerden – auch noch Wochen später.

«The water is coming!»

Im Tempel habe es nochmals einen Schreckensmoment gegeben. Es ist schon spät, als ein Thai ruft: «The Water is coming!» Alle sind wie elektrisiert. Bardos lacht beim Gedanke daran. Denn der Thai hatte lediglich Trinkwasser gebracht und sich in Englisch ausgedrückt, so gut er es konnte.

Ivan Bardos hat das Gefühl, die Katastrophe auch psychisch gut überstanden zu haben. Die Bilder verfolgten ihn später nicht – im Gegensatz zu seiner Frau.

Doch mittlerweile habe auch sie das Erlebte verarbeitet. Darüber reden will sie nicht mehr. «Die Erinnerungen sind in einer Schublade, die sie nicht gerne öffnet», so Bardos.

Es ist schwierig, das Erlebte in Worte zu fassen. Ivan Bardos hält während dem Gespräch oft inne, ringt um Worte. «Wir haben Schwein gehabt», sagt er schliesslich. Er denkt an die vielen Toten. Zu Überleben sei kein Verdienst gewesen.

Was ihn am meisten beeindruckt hat, ist die Hilfsbereitschaft der Thailänder – inmitten des eigenen Elends. «Wenn einer hier eine Medaille verdient, dann sind es die Thailänder.»

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