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Dilemma im Bärenland Rumänien Welchen Preis hat Meister Petz?

Das Wichtigste in Kürze

  • 6000 Bären leben laut Erhebungen in Rumänien, flächenmässig fast sechsmal grösser als die Schweiz. Die Raubtiere sind auch eine Touristenattraktion und streng geschützt.
  • Letztes Jahr flog auf, dass die Regierung jedes Jahr Hunderte Tiere zum Abschuss freigab. Die Umweltministerin unterband darauf das für Jäger und Staat lukrative Geschäft.
  • Das Jagdverbot fand im Volk zwar ein positives Echo, doch mit dem Abschussverbot könnte es für Rumäniens Bären erst recht gefährlich werden.

Im Karpaten-Kurort Baile Tusnad gehören Bären fest zum Alltag. Gerade habe er einen die Strasse zur alten Mühle heruntergehen sehen, berichtet ein Passant. Eine alte Frau bedauert, dass heute ausnahmsweise keine Bären vor ihrem Wohnblock auftauchten. Auf ihrem Handy zeigt sie Fotos von einer Bärin, die eine versteckte Klinke an einer Abzäunung öffnet und ihre zwei Jungen in die Abfallsammelstelle neben dem Haus führt.

Zwischenfälle bleiben nicht aus

«Die Bären sind eine Attraktion, alle lieben sie», erzählt eine Hotelbesitzerin in der Kleinstadt. Für ihr Geschäft sind die grossen Raubtiere gut. Doch es gibt auch Probleme: Ein Bekannter wurde angegriffen, weil er einen schlafenden Bären in einem Busch erschreckte. Auch in den Maisfeldern kommt es zu Unfällen mit schlafenden Bären. Wer in der Nähe des Waldes wohnt, kann keine Hühner halten: «Die Bären spazieren durch die Elektrozäune und nehmen alles mit. Sogar ein ganzes Schwein klemmt sich ein Bär einfach unter den Arm.»

Viele rumänische Dörfer und sogar Grossstädte haben regelmässig Bärenbesuch. Seit etwa am Rand von Brasov, einer Stadt so gross wie Genf, die Abfallstellen bärensicher sind, spazieren die Tiere durch die Innenstadt.

Wir haben 6000 Bären, weil die Jäger sie schützten. Sie waren ein grosses Geschäft, jetzt sind sie nur noch Konkurrenz.
Autor: Ovidiu Ionescu Professor für Grossraubtier-Management, Universität Brasov

Urs Bruderer

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Portrait von Urs Bruderer

Der Journalist wirkt seit 2006 für SRF, zunächst als Produzent der Sendung «Echo der Zeit». 2009 wurde er EU-Korrespondent in Brüssel. Seit 2014 berichtet Bruderer aus Osteuropa. Er hat Philosophie und Geschichte studiert.

In den letzten 15 Jahren wurden in Rumänien 125 Konflikte zwischen Bär und Mensch gezählt. Die meisten endeten mit Verletzungen, elf Menschen starben. «Die Konflikte werden zunehmen», prognostiziert Ovidiu Ionescu, Professor für das Grossraubtier-Management an der Universität Brasov. Er ist Hobbyjäger und Kritiker des Jagdstopps. Denn ohne Bejagung würden noch mehr schwache Bären von den starken Tieren an die Waldränder und in bewohntes Gebiet gedrängt.

Ionescu ist überzeugt: «Wir haben 6000 Bären, weil die Jäger die Tiere schützten. Denn Bären waren für sie ein grosses Geschäft. Jetzt sind sie nur noch Konkurrenz, die junges Rotwild und Frischlinge frisst.» In Zukunft könnten Jäger einfach wegschauen, wenn Menschen am Rand von Baile Tusnad ungebetene Gäste töten. Oder wenn Schäfer ihre Hunde auf Bärenjunge hetzen und Ferienhausbesitzer Fallen stellen.

10'000 Euro für eine Bären-Trophäe

Die Jäger schützten also die Bären nicht nur, sondern sie hegten und pflegten sie auch. Denn je nach Grösse zahlte ein Ausländer 10'000 Euro und mehr für eine Trophäe. Die Preise legte das Umweltministerium fest. Die Jäger kassierten und bezahlten dem Staat Pachtgebühren für die Reviere und einen Teil der Einnahmen.

Die Preise hat das Umweltministerium festgelegt.
Autor: Ovidiu Ionescu Professor für Grossraubtier-Management, Universität Brasov

Ionescu war ein wichtiger Mann im dicken Bärengeschäft der rumänischen Jäger mit ausländischen Kollegen. Er fertigte die Studien über die Bärenpopulation an, aus denen abgeleitet wurde, wie viele Wildtiere jedes Jahr geschossen werden durften. Doch seine wissenschaftlichen Grundlagen sind umstritten.

«Ionescu hatte ein Monopol auf diese Studien», stellt Cristiana Pasca-Palmer fest. Sie stoppte letztes Jahr, als sie noch Umweltministerin war, die Bärenjagd. Dies brachte ihr in der Bevölkerung viel Sympathie ein. Sie hält die Studien Ionescus methodisch für ungenügend. Möglicherweise sei die Zahl von 6000 Bären wegen Mehrfachzählungen viel zu hoch.

Die Leute wussten nicht, dass dies seit zehn Jahren lief. Sie waren schockiert über die Zahlen.
Autor: Cristiana Pasca-Palmer Ehemalige Umweltministerin Rumäniens (November 2015 bis Januar 2017)

Vor allem aber stehen Bären unter Naturschutz. Sogar ein Problembär darf nur im Notfall geschossen werden, wenn er sich nicht vertreiben oder umsiedeln lässt. Als die Ministerin dahinterkam, dass streng geschützte Grossraubtiere systematisch zur Jagd freigegeben wurden, machte sie die Sache öffentlich. Das führte zu einem Aufschrei. «Die Leute wussten nicht, dass dies seit zehn Jahren lief. Sie waren schockiert über die Zahlen.» Letztes Jahr hätten nach ihren Worten 500 Bären, 650 Wölfe und 480 Wildkatzen geschossen werden dürfen.

Das Gesetz ist klar, aber…

Es war ein grosses Geschäft mit wilden Tieren. Doch es war auch eine Lebensversicherung für diese Arten. Die Jäger schützten sie, um sie schiessen zu können. Jetzt werde das Überleben der Bären womöglich unsicherer, räumt die ehemalige Umweltministerin ein: «Theoretisch ist das möglich, aber in den Pachtverträgen mit dem Staat verpflichten sich die Jäger, den Erhalt aller Tierarten in ihrem Revier zu unterstützen.»

Es bleibt die Frage, ob das ausreicht und ob die Jäger die Bären tatsächlich schützen, nur weil sie müssen. Inzwischen ist eine neue Regierung an der Macht. Sie ist nicht bekannt dafür, dass sie es mit dem Recht sehr genau nehmen würde. Vielleicht lässt sie die Bärenjagd wieder zu. Diese ist zwar nicht legal, aber lukrativ und auch für die Bären als Art nicht nur schlecht.

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