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Diplomatie zu Coronazeiten Verkehrte Welt in der WHO

Noch nie waren die neuen diplomatischen Machtverhältnisse so augenfällig wie an der Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Eigentlich, so hätte man meinen können, sass die Volksrepublik China auf der Anklagebank. Kaum ein unabhängiger Experte würde noch bestreiten, dass das Regime in Peking mitverantwortlich ist für die Corona-Pandemie und ihre katastrophalen Auswirkungen.

Doch Chinas Staatschef Xi Jinping präsentierte sich an der WHO-Tagung als weitsichtiger, grosszügiger Weltpolitiker. Er lobte die eigenen Anstrengungen im Kampf gegen das Coronavirus, pries die Zusammenarbeit der Staatengemeinschaft und versprach zwei Milliarden Dollar zur Bekämpfung des Coronavirus rund um den Erdball.

Handelspartner und Investor

Es war ein Heimspiel für Xi. Viele der 194 WHO-Mitglieder sind arme Länder in Asien und Afrika, die auf China als Handelspartner und Investor angewiesen sind. Auch am Hauptsitz der WHO in Genf hat sich China in den vergangenen Jahren Freunde gemacht. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus, ein Äthiopier, irritierte mit überschwänglichem Lob für Chinas Rolle in der Coronakrise.

Es zahlt sich aus, dass China parallel zum wirtschaftlichen Aufstieg auch den politischen Einfluss Schritt für Schritt ausgebaut hat – und ihn in internationalen Organisationen wie der WHO für die eigenen Interessen zu nutzen weiss.

USA haben an Einfluss verloren

Dabei hilft China, dass die USA auf dem diplomatischen Parkett an Einfluss verloren haben. Präsident Donald Trump hält wenig von internationalen Organisationen, anders als Xi kümmert er sich nicht um sein internationales Image.

In der Coronakrise hat Trump China und die WHO heftig kritisiert, und viele seiner Vorwürfe werden von anderen westlichen Staaten geteilt. Doch mit seinen Schimpf-Attacken hat er sich unter der 194 WHO-Staaten weniger Freunde gemacht als Xi mit seiner finanziellen Charmeoffensive.

Bittersüsse Mischung

Während Xi den langen Marsch durch die diplomatischen Institutionen fortzusetzen gedenkt, hat Trump Zahlungen an die WHO eingefroren und droht gar mit dem Austritt aus der Organisation.

Bis zur Ära Trump hatte es die Supermacht USA stets verstanden, mit einer Mischung aus Druck und Belohnung in der Weltdiplomatie den Ton anzugeben. Eine bittersüsse Mischung – die sich die angehende Supermacht China nun zu eigen macht.

Sebastian Ramspeck

Internationaler Korrespondent

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Sebastian Ramspeck ist internationaler Korrespondent für SRF. Zuvor war er Korrespondent in Brüssel und arbeitete als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

Hier finden Sie weitere Artikel von Sebastian Ramspeck und Informationen zu seiner Person.

Tagesschau, 18.5.2020, 19:30 Uhr

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