US-Präsident Donald Trump behauptet, das Schmerzmittel Paracetamol oder Impfungen seien für Autismus verantwortlich. Die Heilpädagogin und selber von Autismus betroffene Leah Gerstenkorn hält dagegen – und erklärt, warum Trumps Behauptung Humbug sei.
SRF News: Sie sind selber von einer Art Autismus betroffen. Wie äussert sich das?
Leah Gerstenkorn: Auf den ersten Blick erscheine ich meistens nicht als autistisch. Ich kann das sehr gut maskieren, ich habe gelernt, mich anzupassen. Doch auf den zweiten Blick merkt man es schon: Ich brauche viele Routinen, klare Vorhersehbarkeit für Begegnungen.
Ich bin sehr schnell von irgendwelchen Reizen abgelenkt und über den Tag hinweg gesehen oftmals überfordert und überreizt.
Die Präzision ist sehr wichtig – dass ich weiss, wer was wann, wie und wo macht. Ein weiterer Punkt ist meine Hypersensibilität auf alles Mögliche. Ich bin sehr schnell von irgendwelchen Reizen abgelenkt und über den Tag hinweg gesehen oftmals einfach überfordert und überreizt. Und das führt zu regelmässigen Zusammenbrüchen, die mich auch ein Stück weit aus dem gesellschaftlichen, sozialen oder beruflichen Umfeld herausgerissen haben.
Dass Paracetamol die alleinige Ursache für Autismus ist, das ist mit dem heutigen Wissensstand nicht haltbar.
Trump sagt, das Schmerzmittel Paracetamol könne zu Autismus beim Kind führen, wenn eine schwangere Frau es einnehme. Was sagen Sie dazu?
Ich weiss nicht, wie er darauf gekommen ist. Man weiss, dass Medikamente grundsätzlich einen Einfluss auf die Schwangerschaft haben können und ein möglicherweise bestehendes Risiko für irgendetwas erhöhen können. Aber dass Paracetamol die alleinige Ursache für Autismus ist, das ist mit dem heutigen Wissensstand nicht haltbar.
Was sind denn mögliche Ursachen für eine Autismus-Spektrum-Störung?
Man geht von vielen Faktoren aus. Sicher ist, dass es eine sehr hohe genetische Disposition dafür gibt. Aber es ist nicht ganz klar, welches Gen genau für Autismus entscheidend ist. Offenbar sind es verschiedene Genabschnitte, die relevant sein können, dass Autismus entsteht.
Deshalb ist das Erscheinungsbild von Autismus auch so unterschiedlich. Einen Einfluss hat auch das Alter der Eltern und die Einnahme von Medikamenten während der Schwangerschaft. Wissenschaftlich erwiesen ist im Übrigen, dass Impfungen Autismus nicht verursachen.
Weltweit nehmen Autismus-Diagnosen gemäss Studien zu. Woran liegt das?
Es werden mehr Fälle diagnostiziert, das ist richtig. Das hat womöglich aber auch damit zu tun, dass man mehr auf autistisches Verhalten achtet. So sind Eltern und Lehrerinnen heute besser informiert, wenn sich ein Kind anders verhält als die Norm. Zugenommen haben die Diagnosen auch, weil man diese heute früher stellt und auch, weil Mädchen und Frauen stärker ins Blickfeld geraten. Hinzu kommt: Die Berufswelt ist für autistische Menschen nicht gut geeignet – und heute fragt und untersucht man, wieso eine Person irgendwann aus dem Erwerbsleben ausscheidet.
Es sollte für alle normal sein, dass es nicht nur neurotypische Menschen gibt.
Wie sollte die Gesellschaft mit Menschen aus dem Autismus-Spektrum umgehen?
Nicht nur Autismus-Spektrum – jede Neuro-Divergenz sollte etwas völlig Normales sein. Es sollte für alle normal sein, dass es nicht nur neurotypische Menschen gibt. Es braucht mehr Verständnis dafür, dass manche Menschen andere Bedürfnisse haben, die vielleicht aber auch nur anders wirken. Es ist doch ein normales Recht, dass ich mit meinen Bedürfnissen so leben darf, wie ich gemacht bin. Darauf hatte ich ja keinen Einfluss.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.